Was heißt eigentlich Gefängnis?
Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.(§3, 1 Strafgesetzbuch)
Hartnäckig hält sich das Vorurteil, wonach das „Leben auf Staatskosten“ recht komfortabel sei. Die tatsächliche Situation sieht anders aus. Da sich viele Menschen kein Bild von den Bedingungen und Auswirkungen eines Gefängnisaufenthalts machen können, stellen wir einige Fakten vor:
Für viele Gefangene bedeutet der Haftantritt zugleich einen Abbruch der Beziehungen zu Familie, Freunden und Bekannten. Viele wenden sich aufgrund von Enttäuschungen oder Ächtungen wegen der begangenen Taten ab. Anderen ist die Überwachung des Briefverkehrs suspekt und das aufwändige Prozedere eines Besuchs im Gefängnis zu umständlich.
In den meisten Gefängnissen herrscht permanenter Platzmangel. Neben Überbelegungen in den Zellen wirkt sich das auf die Strafdauer aus: Das Strafgesetzbuch (§57 StGB) sieht vor, dass Gefangene bei entsprechendem Verhalten nach 2/3 ihrer Strafdauer entlassen werden können. Dies ist häufig nicht möglich, weil für die Vorbereitungen einer Entlassung (Freigänge für Behörden, offener Vollzug, Resozialisierungsmaßnahmen) Personal und Plätze im offenen Vollzug fehlen.
Das Arbeitsangebot in den Gefängnissen ist äußerst beschränkt: so konnte 1998 in Berlin nur ca. 60% der Gefangenen eine Arbeit angeboten werden, meist nur auf anstaltsinternen Arbeitsplätzen (Wäscherei, Küche, Hausdienste). Die Bezahlung der Gefangenen steht auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999 in keinem Verhältnis zu ihrer geleisteten Arbeit (ca. 8-13,50 Tagelohn).
Für Gefangene ohne Arbeit bzw. solche, die nicht im Wohngruppenvollzug (offene Zellen tagsüber) untergebracht sind, bedeutet der Personalmangel, dass sie bis zu 23 Stunden täglich in den Zellen eingeschlossen bleiben.
Auch der Kontakt zu anderen Menschen ist für Gefangene stark eingeschränkt: sie haben nach §24 Strafvollzugsgesetz das Recht, mindestens 1 Stunde pro Monat Besuch zu empfangen. Häufigere Besuche sind meist nicht möglich, da die Kontrolle der Besuche sehr personalintensiv ist. Auch dürfen Gefangene bis zu dreimal jährlich ein Paket mit Nahrungsmitteln erhalten, dessen Inhalt und Gewicht beschränkt sind. Der Besitz von Büchern und Gebrauchsgegenständen (Schreibmaschinen, Radios etc.) ist prinzipiell erlaubt, wird jedoch von der Anstaltsleitung aus „Sicherheitsgründen“ häufig eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen.
Im Alltag des Strafvollzugs sind die Gefangenen darauf angewiesen, sich mit den Haftbedingungen und den Besonderheiten des Personals zu arrangieren. Zu viel Eigensinn wird schnell von den Bediensteten sanktioniert; in der Grauzone der anstaltsinternen „Sicherheit und Ordnung“ lassen sich viele Disziplinarmaßnahmen begründen.
Entgegen der verbreiteten Meinung müssen auch in Deutschland manche Gefangenen den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass grundsätzlich für jeden Verurteilten die Perspektive eines Lebens in Freiheit gewahrt bleiben müsse, bedeutet dies in der Praxis nicht, dass alle lebenslänglich Verurteilten nach 15 Jahren entlassen werden. Nach Schätzungen des Komitees für Grundrechte und Demokratie verbleiben etwa 6 Prozent aller lebenslänglich Verurteilten bis zu ihrem Tod in Haft.
Helga Engel / Sven Lüders im August 2003