Videoüberwachung wider besseres Wissen
Ist die zunehmende Videoüberwachung öffentlicher Räume schon schlimm genug, so kommt ihrer Einführung im öffentlichen Personennahverkehr eine besondere Brisanz zu. Während sich die Berlinerinnen und Berliner (noch) entscheiden können, ob sie lieber öffentliche Plätze mit oder ohne Kameras aufsuchen, gibt es in einer Großstadt kaum Alternativen zur Benutzung der U-Bahn. Deshalb war es nur konsequent, als der Berliner Datenschutzbeauftragte und das Abgeordnetenhaus im Januar 2006 einem Pilotprojekt zur 24stündigen Aufzeichnung von Bilddaten bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) nur unter Vorbehalt zustimmten: Sie forderten eine wissenschaftlich Begleitung und Auswertung des Versuchs, die BVG sollte zudem die datenschutzrechtliche Verhältnismäßigkeit der Aufzeichnung überprüfen und ein schlüssiges Sicherheitskonzept vorlegen.
Obwohl das Pilotprojekt mittlerweile abgeschlossen ist, hat das Unternehmen keine dieser drei Bedingungen erfüllt. Zwar startete der Modellversuch zur Videoaufzeichnung im April 2006 auf drei U-Bahn-Linien und ein externes Forschungsinstitut wurde mit der Auswertung der ermittelten Straftaten beauftragt. Nachdem die Forscher jedoch Ende 2006 einen Zwischenbericht vorgelegt hatten und es zu erheblichen Differenzen zwischen der BVG und den Wissenschaftlern kam, kündigte das Unternehmen kurzerhand den Evaluationsauftrag.
Gläserne Kunden eines transparenten Unternehmens?
Nun sollte man meinen, dass ein Unternehmen, welches seinde Kunden abfilmen möchte, selbst mit gutem Beispiel voran geht und einen transparenten Umgang mit den Videokameras pflegt. Weit gefehlt! Nachdem der Berliner Landesverband der Humanistischen Union vom Umgang der BVG mit den parlamentarische Vorgaben erfuhr, wandte er sich an die BVG und bat um eine Veröffentlichung des Zwischenberichts mit den Ergebnissen des Piloprojektes. Eine erste telefonische Anfrage scheiterte an unüberbrückbaren Differenzen im Verständnis von Öffentlichkeit. Also stellte die Berliner HU einen Antrag auf Akteneinsicht. Als Anstalt des Öffentlichen Rechts unterliegt die BVG dem seit 8 Jahren geltenden Berliner Informationsfreiheitsgesetz, an das Prinzip der grundsätzlich einsehbaren Akten sollte man sich in der Zwischenzeit gewöhnt haben.
Am 2. Juli trat die BVG den Gegenbeweis an: Sie lehnte den Antrag auf Akteneinsicht rundherum ab. Das Pilotprojekt der Videoaufzeichnung samt dem Zwischenbericht diene der Willensbildung über Sicherheitsmaßnahmen bei der BVG, zudem enthalte der gesamte Untersuchungsbericht Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Nach verbreiteter Auffassung unterliegen externe Studien, die zur Evaluation oder Beweiserhebung für Entscheidungsverfahren herangezogen werden können, nicht dem Schutz des Willensbildungsprozesses. Noch fragwürdiger wird der Verweis auf die Willensbildung aber dadurch, dass die BVG die Evaluation längst aus ihrem Entscheidungsprozess ausgeschlossen hatte. Der Auftrag zur Untersuchung der Wirksamkeit der Videoaufzeichnung war bereits zum 31. Dezember 2006 gekündigt worden. In einem internen Schreiben vom Februar 2007 hatte der BVG-Vorstand den Abbruch damit begründet, dass mit dieser Art der Evaluation „eine Verbesserung der objektiven Sicherheit für unsere Fahrgäste … nicht nachgewiesen werden kann.“ Oder anders: Die Untersuchung über die (Un-)Wirksamkeit der eingesetzten Videokameras widersprach dem gewünschten – offenbar bereits vorher festgelegten – Ziel einer Ausweitung der Videoaufzeichnungen.
Sicherheit heißt: Hauptsache, wir tun was
Gegen alle Zweifel am Erfolg der Videoüberwachung verkündete die BVG im August 2007, dass sie bis zum Jahresende die 24stündige Aufzeichnung der Videoaufnahmen nach Möglichkeit auf sämtliche U-Bahnhöfe ausweiten will. Einzelne Beispiele erfolgreicher Strafverfolgung anhand der Videobilder wurden als Beleg für das erfolgreiche Pilotprojekt angeführt. Das Unternehmen weigert sich aber weiterhin, die Ergebnisse der Evaluation offen zu legen und versucht dadurch, eine sachliche öffentliche Diskussion um die tatsächliche Wirksamkeit der Videoaufzeichnungen zu verhindern.
Eine nachgeschobene Begründung für die Effektivität soll nun eine Umfrage liefern, mit der man das subjektive Sicherheitsempfinden der Fahrgäste abfragen will. Dies hätte sich die BVG aber auch sparen können: Eine Umfrage zur Kundenzufriedenheit ist ein schlechter Ersatz für die seriös ermittelte Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit einer Überwachungsanlage. Dass Sicherheitsempfinden und tatsächliche Verbreitung kriminellen Verhaltens oft weit voneinander entfernt sind, ist ein offenes Geheimnis. Eine umfassende, und bestimmt nicht der Bürgerrechtskritik verdächtige Studie im Auftrag des britischen Innenministeriums kam beim Vergleich von 14 Videoüberwachungssystemen zu dem Ergebnis, dass nur bei zwei Systemen ein signifikanter Rückgang der Kriminalität zu verzeichnen war. Bei immerhin fünf Systemen stellten die Forscher einen Rückgang der Angst vor Kriminalität fest, davon allerdings in vier Bereichen, wo es keinen Rückgang der Kriminalität bzw. gar einen Anstieg von Straftaten zu verzeichnen gab.
Sven Lüders
ist Geschäftsführer der Humanistischen Union
Informationen:
Martin Gill et.al. (2005): Assessing the impact of CCTV. Home Office Research Study 292 (Online Report 15/05), http://www.crimereduction.gov.uk/cctv/cctv38.htm
(vergleichende Evaluation von 14 verschiedenen Modellen der Videoüberwachung in Großbritannien)