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Quartals­be­richt Nr. 171 (September 2000)

01. Oktober 2000

Bericht des Landesverbandes Berlin für die Mitteilungen Nr. 171 (September 2000)

Am 22. Juni fand unter der Überschrift „Rechtswidrige Rechtsberatung?“ eine mit Eckart Spoo (Zeitschrift Ossietzky), der Int. Liga für Menschenrechte und der Stiftung Haus der Demokratie zusammen vorbereitete „Republikanische Vesper“ zum Rechtsberatungsgesetz statt. Auf dem Podium diskutierten Helmut Kramer (Richter am OLG i.R.) und Bernd Häusler (Vizepräsident der Berliner Rechtsanwaltskammer), es moderierte Eckart Spoo. Anlaß der Diskussion war das Bußgeldverfahren gegen Helmut Kramer, der u.a. Totalverweigerern Rechtsbeistand geleistet hatte und die Verfassungsbeschwerde Kramers gegen die erfolgte Verurteilung nach dem Rechtsberatungsgesetz. Themen waren neben den historischen Zusammenhängen des Rechtsberatungsgesetzes die Probleme der Anwendung, insbesondere die engen Grenzen bürgerrechtlicher Beratungsarbeit, die durch das Gesetz vorgeschrieben sind.

Die aufgelockerte Form einer politischen Diskussion wollen wir mit einer Reihe weiterer „Republikanischer Vespern“ fortsetzen. Für das zweite Halbjahr sind folgende Veranstaltungen geplant: Am 29. September stehen die rechtsstaatlich fragwürdigen Praktiken des Verfassungsschutzes auf der Tagesordnung. Auf einer Veranstaltung am 26. Oktober wollen wir uns mit der Praxis im Berliner Abschiebegewahrsam widmen und am 23. November ist eine Diskussion zu den bürgerrechtlichen und praktischen Konsequenzen der EU-Grundrechtecharta geplant.


In der Debatte um eine Neuregelung des bislang uneingeschränkt freiwilligen Religionsunterrichts in Berlin wandte sich die HU wiederholt gegen die verbreitete Vorstellung, die Einführung eines Wahlpflichtfaches Religion sei notwendig, um eine Agitation islamischer Fundamentalisten an Berliner Schulen zu verhindern. In einer Veranstaltung mit der Friedrich-Ebert-Stiftung am 8. Juni informierten wir über die Rechte der kleineren Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Peter Feldmann, ehem. Vorsitzender Richter am OLG Berlin, stellte in seinem Beitrag dar, dass auch unter der derzeitigen Regelung Religionsgemeinschaften nicht einfach verfassungsfeindliche Propaganda betreiben können. Umgekehrt hätten Gemeinschaften wie die Islamische Föderation aber auch bei einem Wahlpflichtfach gute Chancen, eine Beteiligung am Religionsunterricht einzuklagen. Johannes Neumann zeigte anhand seiner religionssoziologische Studie, dass zahlreiche Berliner Religionsgemeinschaften einen eigenen Unterricht anbieten wollen. Bei Einführung eines Wahlpflichtfaches müsste dies zu 100 % vom Staat finanziert werden. Überraschend hoch fiel in der Umfrage die Zustimung der kleineren Gemeinschaften zu einem nicht-konfessionellen religionskundlichen Fach aus. Dies entspricht dem Vorschlag der Berliner HU, mit einem religionskundlichen Fach „Kulturen-Religionen-Weltanschauungen“ sowohl der Trennung von Staat und Kirche als auch der Information und Gleichberechtigung der unterschiedlichen Religionen zu entsprechen.
Unser Vorschlag stieß inzwischen bei einigen Abgeordneten der SPD auf Interesse, denen allerdings eher der Ausbau des Faches Sozialkunde zu einem „wertevermittelnden“ Fach vorschwebt. In Gesprächen stellten wir klar, dass es uns eher um ein religionskundliches und interkulturelles Fach geht, und dass wir staatlicher „Wertevermittlung“ skeptisch gegenüberstehen. Selbst Vertreter der Großkirchen haben sich inzwischen von der CDU-Argumentation distanziert, derzufolge Religionsunterricht Tugenden lehren soll. Unterdessen ist SPD-Schulsenator Böger abgerückt von seinen Plänen, ein Wahlpflichtfach rasch einzuführen und hat die Geltung der Bremer Klausel für Berlin anerkannt. Dass es nun eine breite Diskussion statt einer handstreichartigen Schaffung vollendeter Tatsachen gibt, ist ein Verdienst des Aktionsbündnisses, an dem die HU aktiv beteiligt ist.


Für die erste Oktoberhälfte plant der Landesverband eine Veranstaltung über die Zukunft der Wehrpflicht. Angesichts der neuen Aufgabenbestimmungen der Bundeswehr, unter dem Druck der finanziellen Einsparungen und nicht zuletzt durch das Urteil über die Zulassung von Frauen in alle Bereiche der Bundeswehr steht die allgemeine Wehrpflicht zur Disposition. Wir wollen uns daher mit den demokratischen Gründen, die für eine Beibehaltung der Wehrpflicht geltend gemacht werden, und den möglichen Einwänden hiergegen beschäftigen.


Während der letzten Zeit hat sich der Landesverband verstärkt mit den Verlautbarungen des Bundesvorstands zur Pornografie und zum Sexualstrafrecht beschäftigt. Dass sich der Bundesvorstand bislang nicht klar von der bereits mehrfach kritisierten Presseerklärung vom 15.11.99 („Pornografie verhindert sexuelle Gewalt“) und dem ähnlich lautenden Tagungsbericht in den Mitteilungen (Nr. 168, S. 106) distanziert hat, hat im Berliner LV für Empörung gesorgt und wird auf den verhängnisvollen Einfluss des AK Sexualstrafrecht zurückgeführt. Der entstandene falsche Eindruck, die HU halte pädosexuelle Aktivitäten für unproblematisch, hat in Berlin bereits potentielle BündnispartnerInnen und Mitglieder abgeschreckt. Auch die neueren Erklärungen des Bundesvorstandes blenden die Probleme von Machtunterschieden zwischen Kindern und Erwachsenen sowie zwischen Frauen und Männern aus. Die Verteidigung der Bürgerrechte von Sexualstraftätern und Pornografienutzern bleibt damit einseitig. Durch die Art der Formulierung, der Art des Zustandekommens und die jüngste Häufigkeit von Erklärungen im Namen der HU in diesem Themenbereich sehen wir die Gefahr, dass die HU zunehmend und vornehmlich als Lobbyorganisation pädophiler und pornografischer Interessen betrachtet wird. Aus unseren Diskussionen, wie dem undemokratischen Einfluss des AK Sexualstrafrecht entgegengewirkt werden kann, erarbeiteten Mitglieder des Landesverbandes einen Antrag für den Verbandstag.


Zu aktuellen Diskussionen und zur Vorbereitung der nächsten Veranstaltungen laden wir alle Mitglieder und Interessierten zu unseren öffentlichen Vorstandssitzungen ein. Die Sitzungen finden alle zwei Wochen donnerstags um 18.30 Uhr statt. Für weitere Nachfragen und Termine ist die Landesgeschäftsstelle im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4 in 10405 Berlin (Tel. 204 2504) dienstags 9-14 Uhr und donnerstags 16-20 Uhr auch persönlich zu erreichen (Bus 200, Station „Märchenbrunnen“; Tram 2, 3 oder 4, ab z.B. Alexanderplatz, Station: „Am Friedrichshain“).

 

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