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Quartals­be­richt Nr. 170 (Juni 2000)

01. Juli 2000

Bericht des Landesverbandes Berlin für die Mitteilungen Nr. 170 (Juni 2000)

Unter dem Titel „Akte XY eingesehen“ informierte die HU am 10. Mai über das Berliner Akteneinsichtsrecht. Seit letztem Jahr existiert das Berliner Informationsfreiheitsgesetz und damit ein Rechtsanspruch, unabhängig von persönlicher Betroffenheit die Unterlagen der öffentlichen Verwaltungen, Körperschaften öffentlichen Rechts und der landeseigenen Betriebe einzusehen. Auf dem Podium skizzierte Ingrid Lottenburger (Initiatorin des Gesetzes) den langen Weg der Erfüllung dieser alten bürgerrechtlichen Forderung. Hansjürgen Garstka, Berliner Beauftragter für Datenschutz und Akteneinsicht, gab Hinweise zur Anwendung des Gesetzes, das bislang noch wenig genutzt wird. Für überregionale Vergleichsperspektiven sorgten die Beiträge von Lena Schraut (Vertreterin des Brandenburger Beauftragten) und Christoph Bruch, der Parallelen zur Entwicklung des amerikanischen ‘Freedom of Information Act‘ aufzeigte. In die Diskussion über Anwendungsprobleme des Akteneinsichtsrechts konnte der Berliner LV seine ersten Erfahrungen mit dem Gesetz einbringen. Unter anderem hatten wir uns nach den Vergabekriterien der immer wieder skandalumwitterten Lottostiftung erkundigt. Vorläufiges Fazit der Veranstaltung: Umsetzung und Weiterentwicklung des Akteneinsichtsrechts werden davon abhängen, in welchem Maße engagierte BürgerInnen von ihm Gebrauch machen. Bürgerbewegungen eröffnet es neue Möglichkeiten, erfordert aber gerade in der Anfangsphase mitunter einen langen Atem im Umgang mit Bürokraten, die noch nicht recht glauben wollen, dass das preußische Amtsgeheimnis Vergangenheit ist.


Am 23. Mai hat sich der Landesverband kurzfristig mit einem eigenen Informationsstand an der Auftaktveranstaltung zum „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ beteiligt. Dieses Aktionsbündnis war von der Justizministerin und dem Innenminister initiiert worden, um die verschiedenen ausländerpolitischen Aktivitäten von Behörden und freien Initiativen publik zu machen, sie miteinander in Kontakt zu bringen und für mehr Toleranz gegenüber AusländerInnen zu werben. Im Vorfeld des Bündnisses hatte es vielfache Zweifel an der Wirksamkeit des Bündnisses und der Schirmherrschaft des Innenministers Otto Schily gegeben, dessen Äußerungen zu Asylrecht und Einwanderung („Die Grenzen der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung sind erreicht“) alles andere als Fritz-Bauer-Preis-verdächtig gewesen sind. Amnesty International und Pro Asyl kritisierten vor allem die mangelnde Einbeziehung von Menschenrechtsorganisationen in der Planung des Bündnisses.
Der LV hat sich dennoch entschlossen, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Um uns nicht als Deckmäntelchen für eine einwandererfeindliche Politik missbrauchen zu lassen, kritisierten wir die einschlägigen Schily-Äußerungen am Stand auf Plakaten und kontrastierten sie mit der Migrationsstatistik (mehr Fortzüge als Zuzüge in den letzten Jahren) und einer Studie der Vereinten Nationen, nach der die Bundesrepublik über 400.000 Zuwanderer pro Jahr braucht, um das derzeitige Renteneingangsalter halten zu können.


Religionsunterricht an der Berliner Schule: Gleiches Recht für alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften?“ – Unter diesem Titel laden wir am 8. Juni gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer Informationsveranstaltung. Hintergrund ist die von z.T. falschen Vorstellungen geprägte Debatte um die Umwandlung des bislang uneingeschränkt freiwilligen Religionsunterrichts in ein Wahlpflichtfach. Neben Johannes Neumann und Rosemarie Will haben wir Peter von Feldmann für das Podium gewonnen, der als Richter am Oberverwaltungsgericht an der Entscheidung beteiligt war, dass der Islamischen Föderation das gleiche Recht auf Erteilung von Religionsunterricht zusteht wie den Kirchen. Nachdem diese Entscheidung im Februar vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden ist, ist sie auf eigentümliche Weise Bestandteil der Argumentationsstrategie von Schulsenator Klaus Böger (SPD) für ein Wahlpflichtfach Religion geworden: Das Urteil habe gezeigt, dass Berlin ein ordentliches Schulfach Religion brauche, um Gemeinschaften wie die Islamische Föderation von der Schule fern zu halten. Neuerdings prüft die Schulverwaltung sogar, ob sie den Kreis der Religionsunterrichts-Anbieter auf Körperschaften des öffentlichen Rechts beschränken kann. In einer Pressemitteilung und in einem Brief an die Abgeordneten der SPD haben wir nachdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Staat nicht aussuchen kann, welche Religionsgemeinschaften ihm genehm sind – auch nicht bei einem Wahlpflichtfach. Im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot und angesichts des Bestrebens weiterer Gemeinschaften, einen eigenen Unterricht anzubieten, schlagen wir eine Alternative vor: ein religions- und kulturkundliches Fach, in dem alle Schülerinnen und Schüler bekenntnisungebunden etwas über die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen lernen können.
Für diesen Vorschlag werben wir auch innerhalb des Aktionsbündnisses gegen ein Wahlpflichtfach Religionsunterricht in Berlin, an dem wir in vielfältiger Weise beteiligt sind und das zurzeit eine aktive Pressearbeit betreibt.


Seit vergangenem Jahr beteiligt sich der Landesverband an einem von den JungdemokratInnen/ Junge Linke initiierten Aktionsbündnis gegen die zunehmende Überwachung und soziale Ausgrenzung im ÖPNV. In Anlehnung an das derzeit getestete elektronische Fahrscheinsystem „tick.et“ trägt der Bündnisaufruf den Titel „Bei euch tick.et’s wohl“. Für den Sommer sind Veranstaltungen und eine Zeitung geplant.


Warum dürfen eigentlich nur Anwälte Rechtsberatung betreiben? Diese Frage steht im Mittelpunkt der ersten „Demokratischen Vesper“, zu der gemeinsam die Zeitschrift Ossietzky, die Internationale Liga für Menschenrechte und die Humanistische Union am 22. Juni um 19 Uhr ins Haus der Demokratie und Menschenrechte einladen. Unter dem Titel „Rechtswidrige Rechtsberatung?“ diskutiert Dr. Helmut Kramer (Richter am OLG i.R.) u.a. mit Bernd Häusler, dem stellvertretenden Vorsitzenden und Menschenrechtsbeauftragten der Berliner Anwaltskammer. Kramer wurde kürzlich verurteilt, weil er vor Gericht Totalverweigerern beigestanden hatte, die ihrerseits wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz angeklagt waren. Mit einer Verfassungsbeschwerde strebt er jetzt die Aufhebung des Gesetzes an. Eckart Spoo, der die Veranstaltung organisiert, nimmt außerdem die Geschichte des Gesetzes unter die Lupe.


Zur Information über diese und andere aktuelle Themen laden wir alle Mitglieder und Interessierten herzlich zu unseren öffentlichen Vorstandssitzungen ein. Die Sitzungen finden alle zwei Wochen donnerstags ab 18.30 Uhr statt. Für weitere Nachfragen und Termine ist die Landesgeschäftsstelle im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin unter Tel. 204 2504 dienstags 9-14 Uhr und donnerstags 16-20 Uhr auch persönlich zu erreichen (Bus 100; Tram 2,3 oder 4, ab Alexanderplatz, Station: „Am Friedrichshain“).

 

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