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Offener Brief zur Ungleich­be­hand­lung von Weltan­schau­ungs­ge­mein­schaften in Brandenburg

17. Mai 2001

An den Präsidenten des Brandenburger Landtages,
die Vorsitzenden und schulpolitischen Sprecherinnen
und alle weiteren Abgeordneten
der Fraktion der SPD, CDU und PDS
Am Havelblick 8
14473 Potsdam

Berlin, am 17. Mai 2001

Sehr geehrte Damen und Herren,

als älteste Bürgerrechtsorganisation der Bundesrepublik sind wir äußerst besorgt darüber, dass in Brandenburg offenbar Religionsgemeinschaften gegenüber Weltanschauungsgemeinschaften bevorzugt werden. Während Kirchen an Brandenburger Schulen das Recht auf einen Bekenntnisunterricht eingeräumt wird, wurde im Oktober letzen Jahres ein Antrag der Weltanschauungsgemeinschaft „Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg“ (nicht zu verwechseln mit der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union) zur Erteilung des Faches „Humanistische Lebenskunde“ vom Bildungsministerium abgelehnt.

Die diskriminierende Entscheidung des Bildungsministeriums verstößt gegen die verfassungsrechtlich gebotene weltanschauliche Neutralität des Staates und damit gegen die Voraussetzung für individuelle Bekenntnisfreiheit und ein gleichberechtigtes Zusammenleben in Vielfalt. Aus gutem Grund ist daher eine Gleichstellung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowohl im Grundgesetz (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 WRV Abs. 7) als auch in der Brandenburger Landesverfassung (Artikel 36, Abs. 5) vorgeschrieben.

Das Bildungsministerium begründete seine Ablehnung gegenüber dem Antragsteller mit der Behauptung, Artikel 7 Abs. 3 des Grundgesetzes privilegiere Religionsgemeinschaften bei der Erteilung des Religionsunterrichts. Diese Begründung erstaunt uns, da wir uns bislang mit der Landesregierung und Parlamentsmehrheit in Übereinstimmung wähnten, dass dieses Überbleibsel aus der Zeit des Staatskirchentums gemäß Art. 141 GG in Brandenburg nicht anzuwenden ist. Diese Position vertritt das Land Brandenburg auch bei dem anhängigen Verfahren am Bundesverfassungsgericht in der Auseinandersetzung um LER.

Zudem dürften selbst bei Geltung von Art. 7 Abs. 3 GG im Land Brandenburg aufgrund von Art. 140 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 GG Weltanschauungsgemeinschaften hinsichtlich eines schulischen Unterrichts gegenüber Religionsgemeinschaften nicht diskriminiert werden.

Der innovative Weg, den Brandenburg mit der Einführung von LER gegangen ist, hat dem Land Brandenburg bundesweit Achtung verschafft und ist von der Humanistischen Union stets unterstützt worden. Als unabhängige Organisation, die keiner Partei, Religion oder Weltanschauung verpflichtet ist, möchten wir Sie nun dringend bitten, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass die verfassungsgemäße Gleichbehandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Brandenburg gewährleistet wird. Der angemessenste Weg wäre hierfür unseres Erachtens eine deutliche gesetzliche Klarstellung im Schulgesetz. Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Landtag das Bildungsministerium auffordert, das Schulgesetz verfassungskonform auszulegen und damit die Diskriminierung von Weltanschauungsgemeinschaften in Brandenburg zu beenden.

Im Sinne einer selbstverständlichen Gewährleistung von Grundrechten im Land Brandenburg sollte es Weltanschauungsgemeinschaften und Eltern mit nichtreligiöser Weltanschauung nicht zugemutet werden, ihre grundgesetzlichen Ansprüche auf Gleichbehandlung jeweils aufwändig gerichtlich einklagen zu müssen.

Natürlich steht es Ihnen als Brandenburger Gesetzgeber frei, keinen Weltanschauungsunterricht an staatlichen Schulen zuzulassen. Dies müsste dann logischerweise aber auch für den Religionsunterricht gelten. Ein in Glaubensdingen zur Neutralität und Gleichberechtigung verpflichteter Staat kann nicht selbstherrlich bestimmen, welchen Bekenntnisgemeinschaften er Rechte einräumt und welche er von diesen ausschließt. Wir hoffen, dass Sie hinsichtlich dieser Feststellung mit uns übereinstimmen.

Die Humanistische Union gibt gemeinsam mit anderen Bürgerrechtsorganisationen den Grundrechte-Report heraus, der Grundrechtsverletzungen in der Bundesrepublik dokumentiert.

Wir würden uns freuen, wenn wir im Grundrechte-Report 2002 berichten könnten, dass der Brandenburger Landtag erfolgreich die Diskriminierung von Weltanschauungsgemeinschaften an Schulen des Landes beendet hat.

Wegen der grundrechtlichen Relevanz wären wir Ihnen für eine baldige Antwort dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Dr. Till Müller-Heidelberg
Bundesvorsitzender

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