Menschenrechte im polizeilichen Alltag
Mitteilungen Nr. 188, S.2-4
Die Fachhochschule der Polizei des Landes Rheinland-Pfalz veranstaltet am „Tag der Menschenrechte“ eine Tagung zum Thema mit Vorträgen für die Studierenden. Wie im vergangenen Jahr wurde die Humanistische Union – neben amnesty international – als Bürgerrechtsorganisation eingeladen. Reinhard Mokros hielt als Bundesvorsitzender auf Wunsch der Veranstalter ein Referat mit dem Thema „Menschenrechte im polizeilichen Alltag“. Den Text drucken wir – mit geringen Kürzungen – hier ab.
Das Angebot, am heutigen „Internationalen Tag der Menschenrechte“ zu Ihnen über das Thema „Menschenrechte im polizeilichen Alltag“ zu sprechen, habe ich gern angenommen. Ich vermute, die Einladung verdanke ich der Tatsache, dass ich in zwei höchst unterschiedlichen Rollen hier auftreten kann. Zum einen bin ich Bundesvorsitzender der „Humanistischen Union“, einer Bürgerrechtsorganisation, die im Jahre 1961 gegründet wurde und sich seitdem für Menschenrechte einsetzt. Zum anderen bin ich seit mehr als 30 Jahren Polizeibeamter des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit einem Jahr arbeite ich als Dozent an der „Fachhochschule für öffentliche Verwaltung“. An der Abteilung Duisburg lehre ich das Fach „Eingriffsrecht“. Heute bereite ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen den „polizeilichen Nachwuchs“ auf den „polizeilichen Alltag“ im Streifendienst und in den Kriminalkommissariaten vor. Die Arbeit dort ist mir aber auch aus eigenem Erleben wohl bekannt, auch wenn meine Zeit im Streifendienst schon lange zurückliegt. Meine Erfahrungen aus dieser Zeit beeinflussen jedoch auch heute noch meine Stellungnahmen als Bürgerrechtler, wenn es um Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen geht.
Wenn ich heute zu Ihnen über das Thema „Menschenrechte im polizeilichen Alltag“ spreche, tue ich dies mit der Betonung des Wortes „Alltag“. Es lenkt den Blick auf die „Alltäglichkeit“ des rechtsstaatlichen Polizeihandelns. Auch wenn es immer wieder Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch einzelne Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gibt, so wird niemand ernsthaft daran zweifeln, dass die Polizei im Staate des Grundgesetzes eine demokratische und rechtsstaatliche Institution ist. Die jüngste Geschichte hat uns gelehrt, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Aus gutem Grund wird in Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes die Bindung aller staatlichen Gewalt an die Grundrechte als „unmittelbar geltendes Recht“ betont.
Trotz aller Kritik an den Grundrechtseinschränkungen durch insbesondere die „Anti-Terror-Gesetze“, sieht die Humanistische Union die Bundesrepublik nicht auf dem Weg in einen „Polizeistaat“. Wer dies behauptet, verniedlicht im Nachhinein die Unrechtsregime, von denen es auch heute noch zu viele gibt. Das Grundvertrauen in den Rechtsstaat hält uns jedoch nicht von der Kritik an Gesetzen und an Gesetzgebungsverfahren ab, die von einem allzu leichtfertigen Umgang mit den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger zeugen.
Mit dem Titel „Menschenrechte im polizeilichen Alltag“ wird das Thema von der Ebene des „Pathetischen“, der „Polizeiphilosophie“ oder „Polizeikultur“ auf die Ebene der Polizeipraxis geholt. Auf dieser Ebene werde ich mich in meinem Vortrag bewegen und der Frage nachgehen, welche Bedeutung die Menschenrechte im Polizeialltag haben, wie die Beamtinnen und Beamten damit umgehen und welche Möglichkeiten es gibt, eine Polizeiarbeit zu unterstützen, die strikt an der Wahrung der Rechte aller Menschen orientiert ist.
Wenn ich Berufsanfänger der Polizei nach den Gründen für ihre Berufswahl frage, wird mir häufig mit dem Satz geantwortet: „Ich will für andere Menschen da sein“. Manchmal höre ich sogar: „Ich will mich sozial engagieren“. Der Polizeiberuf ist ein Zuwendungsberuf. Lange hat die Polizei des Landes NRW mit dem Satz „Mensch im Mittelpunkt“ geworben. Sarkastisch war in mancher Wache zu hören: „Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt – und damit jedem im Wege“. Tatsächlich steht der Mensch einer „effizienten Polizeiarbeit“ oft im Wege. Da ist der sprachunkundige LKW-Fahrer, der nach dem Weg gefragt hat und nun die Erklärung des Polizisten nicht versteht oder der ältere Herr, der an einem Sonntagmorgen zur Wache kommt und umständlich und leicht verwirrt über „verdächtige Beobachtungen“ berichtet. Und es gibt die „mündigen Bürger“, welche die Polizeibeamten bei der Unfallaufnahme über das aufklären, was aus ihrer Sicht unbedingt bei der Beweissicherung zu beachten sei. Oder nach festgestellter Geschwindigkeitsüberschreitung kontert ein ertappter Autofahrer die Belehrung des Polizeibeamten mit der Aufforderung, doch lieber gefährliche Verbrecher statt harmloser Verkehrssünder zu jagen. In all diesen Fällen mag es schwer fallen, freundlich und ruhig zu bleiben. Ist die Versuchung nicht groß, den „aufmüpfigen“ Autofahrer mit einer sehr „gründlichen“ Fahrzeugkontrolle an der Fortsetzung der eiligen Fahrt zu hindern? Vielleicht wenden Sie an dieser Stelle ein: „Das hat doch nichts mit Menschenrechten zu tun!“ Aber – ist die Freiheit von staatlicher Willkür nicht auch ein Menschenrecht?
Es sind die Regelverletzungen im alltäglichen Polizeihandeln,
auf die ich hinweisen möchte:
Der Schlag mit dem Schlagstock, nachdem der Betroffene bereits jeglichen Widerstand aufgegeben hat und das „stramme Anziehen“ der Handfessel, welches zu schmerzhaften Verletzungen führt, zählt genauso dazu wie die Respektlosigkeit gegenüber gläubigen Muslimen, wenn bei einer Razzia der Gebetsteppich in einer Moschee mit Einsatzstiefeln betreten wird. Oder schauen Sie sich einmal an, mit welchen Mitteln die Polizei in einigen Großstädten die Drogenabhängigen aus der Innenstadt vertreibt. Die Änderungen des Strafrechts durch die zahlreichen „Bekämpfungsgesetze“ der letzten Jahre sollen suggerieren, dass mit den Mitteln des Strafrechts eine Reduzierung der Drogenkriminalität erreicht werden kann. Wenn Sie dieselben Fixer zum zehnten Mal aufgegriffen haben, werden Sie wissen, dass Strafe keinem Abhängigen hilft. Aber das Drehen an der Strafrechtsschraube und die Problemabwälzung auf Polizei und Justiz erscheinen immer noch billiger als die Einrichtung von Therapieplätzen. Vielleicht gehen wir mit den Abhängigen auch innerlich herzenshärter um, weil wir sie nicht als Kranke, sondern als Übeltäter ansehen, die ihr Unglück selber „schuld“ sind. Ob die Polizei es mit der Achtung der Menschenrechte im polizeilichen Alltag ernst meint, zeigt sich besonders in ihrem Verhalten gegenüber solchen „Randgruppen“. Mit Bedauern beobachte ich, dass in vielen Fällen der eingangs erwähnte Wunsch des Helfens und der Fürsorge für andere als Motivation für die Berufswahl der Einstellung weicht, als „Crimefighter“ an der „Front des Verbrechens“ zu kämpfen. Die permanente Rede von der „Verbrechensbekämpfung“ als polizeiliche Aufgabe könnte solche Veränderungen der Einstellung bewirkt haben.
Zum Schluss werde ich auf ein Menschenrecht eingehen, dessen Gefährdung mit zunehmender Technisierung polizeilicher Kontrolle wächst: Das in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierte Recht eines jeden Menschen auf Achtung seiner Privatsphäre. Bürgerrechtler kritisieren vehement die ausufernde Überwachung der Telekommunikation. Die Polizeigesetze einiger Bundesländer wurden und werden derzeit novelliert, um die „präventive Telefonüberwachung“ im „Vorfeld der organisierten Kriminalität“ zu ermöglichen. Diese Gesetze sind massive Eingriffe in das Grundrecht aus Artikel 10 Grundgesetz. Wie aber sieht es mit der Achtung der Privatsphäre im polizeilichen Alltag aus?
Ich stelle fest, dass mit „personenbezogenen Daten“ nicht immer mit der gebotenen Sensibilität umgegangen wird. Auch hier nenne ich zunächst scheinbar „kleinere Missachtungen“ des Persönlichkeitsrechts. Dazu gehört zum Beispiel die Anfrage beim Straßenverkehrsamt, wer Halter eines Fahrzeuges ist, oder die Überprüfung einer Adresse beim Einwohnermeldeamt, wenn diese „Datenerhebungen“ dem Zweck dienen, die persönlichen Daten einer attraktiven Frau zu erfahren, mit denen der „ermittelnde“ Polizeibeamte gerne anbändeln möchte. Oder die Überprüfung im Kriminalaktenbestand, um festzustellen, ob der potenzielle Mieter der Einliegerwohnung im Eigenheim des Polizisten auch ein unbescholtener Bürger ist.
Mit Sorge beobachte ich, dass die Polizei bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit den Schutz der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Bürgerinnen und Bürger vernachlässigt. Auch dafür ein Beispiel aus dem Polizeialltag:
Die beiden Polizisten Torsten Heim und Thomas Weinkauf aus Bochum sind die Stars der Serie „Toto und Harry“, einer „Doku-Soap“ des privaten Fernsehsenders „Sat 1“. Ein Fernsehteam begleitet die beiden Beamten während der Streife und schaut ihnen bei Einsätzen „über die Schulter“. Montags ab 22.15 Uhr können die Fernsehzuschauer für 30 Minuten die beiden „Cops“ bei der alltäglichen Arbeit beobachten. Die beiden Fernsehstars sind sehr beliebt und berichten auf der eigenen Homepage stolz über ihre Auftritte. Auch die Polizeibehörde Bochum schmückt sich mit dieser Art „Öffentlichkeitsarbeit“. Neben den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten der Polizeiinspektion Bochum treten in der Serie allerdings auch viele unfreiwillige Darsteller auf. Es sind die Menschen, denen die Polizeibeamten bei der Arbeit als Zeugen, Beschuldigte oder Hilfsbedürftige begegnen. Gnadenlos richtet sich das Auge der Kamera auf unterschiedliche Facetten menschlichen Leids. Wir sehen betrunkene Nichtsesshafte, die zur Ausnüchterung in das Polizeigewahrsam gebracht werden, misshandelte Frauen, die von ihrem Partner geschlagen wurden, den von seiner Frau aus der gemeinsamen Wohnung ausgesperrten Ehemann und die verwirrte ältere Dame, die in ihrer Wohnung „Stimmen hört“. Ein „schwarzer Balken“ im Augenbereich soll verhindern, dass die Menschen von Freunden und Nachbarn erkannt werden. Anonymität ist kaum gewährleistet, wenn das Wohnumfeld der Betroffenen deutlich zu sehen ist. Es mag sein, dass alle gefilmten Personen ihr „Einverständnis“ zur Veröffentlichung der Aufnahmen gegeben haben. Dennoch habe ich erhebliche Zweifel daran, dass die Menschenrechte – insbesondere das Recht auf Achtung des Privatlebens (Artikel 8 EMRK) – bei dieser Art Öffentlichkeitsarbeit der Polizei ausreichend geschützt werden.
Was kann eine Bürgerrechtsorganisation wie die Humanistische Union tun, um eine strikt an Bürger- und Menschenrechten orientierte Polizeiarbeit zu stützen?
Ich sehe drei Möglichkeiten:
Die Polizei vor einem Eingriffsrecht zu bewahren, dass die Einhaltung menschenrechtlicher Standards erschwert oder sogar unmöglich macht. Als Beispiel sei hier die Verabreichung von „Brechmitteln“ an verdächtige Drogenbesitzer genannt. Aber auch die Einführung einer – teilweise verfassungswidrigen – akustischen Wohnraumüberwachung gehört dazu. In solchen Fällen wird die Humanistische Union auch in Zukunft mit geeigneten Mitteln protestieren.
Die Humanistische Union setzt sich
für eine „unterstützende Kontrolle“
der Polizei ein.
Uns geht es nicht um (Vor-)Verurteilungen, sondern um Aufklärung und frühzeitige Intervention bei Fehlentwicklungen. Bewährt hatte sich nach unserer Auffassung die „Polizeikommission“ in Hamburg. Ihre Einrichtung geht auf eine Empfehlung des „Parlamentarischen Untersuchungsausschusses“ aus dem Jahre 1996 zurück. Dieser befasste sich mit Polizeiübergriffen in Hamburg. Die Polizeikommission hatte die gesetzliche Aufgabe, interne Fehlentwicklungen und daraus folgende Gefährdungen der Einhaltung rechtsstaatlichen Verhaltens der Polizei zu erkennen und darüber zu berichten“. Leider wurde die Polizeikommission bereits unter dem Innensenator Schill aufgelöst. Sie bleibt ein Modell für die „unterstützende Kontrolle“ der Polizei.
Die Menschenrechte müssen in der Aus- und Fortbildung einen höheren Stellenwert erhalten. Wir brauchen eine zeitgemäße „Menschenrechtsbildung“ in der Polizei. Dabei ist insbesondere den Anforderungen durch die steigende Zahl der Auslandseinsätze deutscher Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Rechnung zu tragen. Die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen und des Europarates müssen der Polizei ebenso vertraut sein wie das nationale Eingriffsrecht. Im „Forum Menschenrechte“ – einem Zusammenschluss von über 40 Menschenrechtsorganisationen – setzt sich die Humanistische Union für eine Menschenrechtsbildung – nicht nur bei der Polizei – ein.
Diese drei Themenbereiche sind meine persönlichen Arbeitsschwerpunkte als Bundesvorsitzender der Humanistischen Union. Im Juni 2005 wird eine neue Bundesvorsitzende oder ein neuer Bundesvorsitzender gewählt und es wird andere Schwerpunkte in der Bürgerrechtsarbeit geben. Persönlich fühle ich mich dem Thema verpflichtet. Ich befolge den Rat meines langjährigen Vorgesetzten, Polizeipräsident Prof. Dr. Hans Lisken, der zum „Widerstand für das Recht“ aufrief. Sie sind Beamte auf Lebenszeit, damit Sie ohne Risiko widersprechen können. Seien Sie daher skeptisch, wenn der Abschaffung des Berufsbeamtentums das Wort geredet wird und widersetzen Sie sich allen Versuchen, Sie zur Missachtung der Menschenrechte zu verleiten. Das gilt nicht nur für „Folteranordnungen“, sondern auch für die „Menschenrechte im polizeilichen Alltag“.