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Religi­ons­frei­heit ≄ Freiheit von Religion

30. Juni 2023

von Dr. Andrea Zielinski

Gesellschaften sind immer im Wandel. Gleichzeitig gibt es Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch Tradition und feste Überzeugungen, “dass es immer so war”. Diese Strömungen auszutarieren, Macht und ´Ohnmacht` immer wieder in Balance zu halten ist die Aufgabe aller Gruppen einer Gesellschaft.

Im Vormärz bis 1848 und darüber hinaus galt das nicht für Frauen. Auch nicht für Juden. In manchen deutschen Ländern nicht für Protestanten, woanders nicht für Katholiken. Nicht für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, diese Begriffe mussten erst erfunden werden. Nicht für Bauern ohne Land. Der einzige Weg für Bürger sich aus der Ohnmacht heraus zu arbeiten, führte über Vereinigungen und Zünfte. Doch auch sie akzeptierten zumeist nicht die Genannten. Parteien waren nicht zugelassen. Und, wer Bürger werden durfte, entschieden die Mächtigen.

Dem gegenüber standen Adel und Klerus. König, Fürsten und kirchliche Entscheidungsträger, vom Kardinal über den Bischof bis zu den Wanderpredigern und Geldeintreibern, je nachdem, ob das politische Territorium eher protestantisch, oder aber katholisch ausgerichtet war.

Das Handelsgut der Kirchen war ihre Heilslehre. Diese betraf jeden Einzelnen und die Gemeinschaft gleichermaßen. Sie begann mit der guten Nachricht für das Individuum und endete global mit der Vorstellung, dass der zu verehrende Gott omnipräsent und omnipotent sei. Hier ein aktuelles Beispiel: Urbi et Orbi1 .

Es war die Kleinstaaterei, die Konzentration politischer Macht mit wechselnden geistlichen Koalitionären, die den Ruf nach einem deutschen großen Nationalstaat erstarken ließ. Im Orchester der sich gründenden europäischen Nationalstaaten sollte ein Deutsches Reich mitspielen. Nationalismus und Freiheit gehörten damals zusammen, denn kleine, regionale politische Umstürze verbrennen, bevor aus ihnen eine Revolution mit Tragweite wird.

Es ging um Alles: Freiheit! Freiheit von der Drangsal, dass Geschlecht, Herkunft, Abkunft und religiöses Bekenntnis, auch Meinungen entscheiden, wieviel Macht und Gestaltungsfreiheit dem Einzelnen in der Lebensgestaltung zuerkannt werden. Das freie Individuum als politisch handelnde Person wurde geboren. Der Geist der Französischen Revolution war in den deutschen Ländern angekommen und wurde von den hiesigen Verhältnissen adaptiert. Dazu gehörten die Besonderheiten der christlichen Konfessionskriege und die territorialen und politischen Verflechtungen mit beiden Kirchen. Säkularismus, die Trennung von Staat und Kirche, die Forderung, religiöse Bekenntnisse in das Private zu verlegen, waren zentrale Anliegen der Revolutionäre von 1848. Das Private wurde neu definiert und mit dem Individuum und dem Privaten trat das Gewissen an die Stelle der ´religionsverwalteten` Seele.

Ob die geforderte Religionsfreiheit zu diesem Zeitpunkt auch die Freiheit von Religion bedeutete, ist fraglich. Zielgruppen dieser Forderungen waren eindeutig zuoberst Juden und Freidenker, aber auch die vielen kleinen religiösen Gemeinschaften, die von den Amtskirchen verfolgt wurden.

Wie ging es weiter? Die Revolution von 1848 ist nicht gescheitert, auch wenn wesentliche Anliegen der Revolutionäre vom Tisch gefegt wurden. Der Funke des Freiheitsgedankens wurde – wie es immer ist – in gewissen Milieus bewahrt und dort weiterentwickelt. Das Bürgertum entstand. Der nationale Impuls wurde von den modifizierten politischen Eliten aufgegriffen. Schließlich erlangten Juden ihre bürgerliche Gleichstellung.

Entlang der christlichen Konfessionen entstanden weitere Konfliktlinien, die erneut kriegerisch ausgetragen wurden. Europa sollte vorerst nicht zur Ruhe kommen.

Das Gute im Menschen zu sehen und zu fördern war seit der Renaissance eine Idee des Humanismus. Nun aber sollte sich unter den Eindrücken der Europäischen Aufklärung und der einsetzenden Industrialisierung dieses Menschenbild verändern. Zuvor noch im Einklang mit den religiösen Lehren, erschienen nun Jenseits gerichtete Heilsversprechen zusehends unattraktiv. Das diesseitige Leben sollte gerechter werden, für jede Frau, jeden Mann und die nachfolgenden Generationen, jetzt!

Das naturwissenschaftliche Denken, das transparente, nachvollziehbare und im Versuchsaufbau wiederholbare Lehrsätze forderte, reanimierte Denkdisziplinen wie Logik und Dialektik. Die kirchlichen Moralbegriffe erfuhren eine kritische Betrachtung und das Gewissen trat bei vielen Gelehrten an die Stelle der Seele.

Glaube und Bekenntnis. In Gesellschaften mit ausgeprägten Gewalterfahrungen, wie es in Deutschland immer wieder der Fall war, muss es weltliche Regelwerke geben, die für alle Bürger gleichermaßen gelten, unabhängig des Bekenntnisses. Der Staat musste handeln und es gab Neuerungen, wie Strafgesetzbücher, aber auch die Zivilehe und später das Bürgerliche Gesetzbuch, BGB. Rechtsnormen wurden vereinheitlicht und traten für viele Menschen an die Stelle von Religionsgesetzen.

Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit. In der Weimarer Verfassung, der ersten demokratischen Verfassung, entschied man sich nun die Religionen, ihre Institutionen, die Religionsausübung und die Religionsausübenden zu schützen. Dass Religionsfreiheit mit Weltanschauungsfreiheit gleichgesetzt werden kann, kam noch nicht in den Sinn2. Neben Christentum und Judentum konnte man nun aber auch Atheismus, oder Agnostik wählen. Allerdings hieß diese Wahl ´Bekenntnisfrei`, oder ´Ohne` und stellte eine Negativdefinition dar, etwas Defizitäres. Es stellte sich damals, wie heute die Frage nach der Neutralität des Staates.

Humanistische Lehre 3zu schützen und sie den religiösen Lehren gleich zu stellen, wurde nicht in Betracht gezogen. Aber, die Bürger durften die Religionsausübung verweigern, Religion und Bekenntnisse verheimlichen, Bekenntnisgemeinschaften den Rücken kehren und offiziell austreten und sie durften auch Konfessionen und Religionen wechseln, allerdings hier wieder nur im Einklang mit den betreffenden Religionsgesetzen. So gibt es schwerwiegende Probleme beim Konfessionswechsel innerhalb der christlichen Religion, oder aber im Judentum. Oder blickt man auf den Zugehörigkeitsstatus qua Geburt im Judentum, stellt sich die Frage, ob es muslimische Juden geben kann, oder aber Hindus, die Christen werden? Welche Seele, welches Gewissen wiegt schwerer? Welche Religion und welches Religionskonzept hat die Deutungshoheit hier im Lande?

Nach den Verwüstungen des 2. Weltkrieges blieb nur Eines:

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.4

 

Religionsfreiheit von der Bekenntnisfreiheit zu trennen, wie es tatsächlich bei vielen Aufklärern längst vollzogen wurde, diesen Schritt ging erst das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.5 Freiheitsrechte gelten für alle. Jedoch, was ist Religion, was ist Bekenntnis, was ist Meinung?

Bekenntnis- und Religionsfreiheit sind verbriefte Freiheitsrechte. Das bedeutet aber nicht, Bekenntnisse und Religionen dürfen nicht kritisiert werden. Die Meinungsfreiheit ist ebenfalls ein Freiheitsrecht. Dieses Spannungsverhältnis besteht mindestens seit 1848, als in Deutschen Landen der Ruf nach Freiheit lauter wurde. Heute sprechen wir von Kopftüchern, Beschneidung, Kruzifixen in Amtsstuben, Sexualmoral in der Kirche und religiösen Parallelrechtsnormen.

Wandel und Tradition bleibt unserer Gesellschaft erhalten.

Erschienen in: GEE Journal (2023) 1, S. 16f, 28.06.2023

Weiterführende Literatur

Zuckermann, Phil (2016) The Nonreligious. Understanding Secular People and Societies. Oxford

Anmerkungen

5 https://www.youtube.com/watch?v=9a4B5pD1Rng 08.01.2023 Es bedarf noch der Recherche zur verfassungsrechtlichen Praxis in der DDR.

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