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Ungleich­be­hand­lung von Religions- und Weltan­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten.

18. Mai 2001

Im Land Brandenburg gibt es einen neuen Streit um Grundrechte, der die Verfassungsaposition der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates betrifft. Diesmal geht es nicht um den Religionsunterricht oder um LER, sondern um Weltanschauungsunterricht. Hintergrund ist ein vom Brandenburger Bildungsministerium abgelehnter Antrag des Humanistischen Verbandes auf Durchführung eines Weltanschauungsunterrichts zu gleichen Bedingungen, wie sie für den Religionsunterricht gewährt werden. Der trotz der Namensähnlichkeit nicht mit der Humanistischen Union verbundene Humanistische Verband ist eine aus der Freidenkerbewegung hervorgegangene Weltanschauungsgemeinschaft.

Während die Bürgerechtsorganisation Humanistische Union bekanntermaßen weder weltanschaulich noch religiös gebunden ist, versteht sich der Humanistische Verband ausdrücklich als Gemeinschaft von Konfessionslosen, Agnostikern und Atheisten. In Berlin bietet der Humanistische Verband an öffentlichen Schulen das freiwillige Fach „Humanistische Lebenskunde“ an, an dem derzeit ca. 30.000 Schülerinnen und Schüler teilnehmen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in Brandenburg mehr als 70 Prozent der Bevölkerung konfessionslos ist und nur ein kleiner Teil von Kindern und Jugendlichen am evangelischen Religionsunterricht teilnimmt, hat sich der Humanistische Verband im letzten Jahr entschlossen, das Fach „Humanistische Lebenskunde“ auch an Brandenburger Schulen zu unterrichten. Das Angebot ist nicht als Konkurrenz zum staatlichen Fach „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“ (LER) konzipiert – dieses wird vom Humanistischen Verband ausdrücklich befürwortet – sondern als freiwillige weltanschauliche Alternative zu dem neben LER möglichen Religionsunterricht. Rechtlich stützt sich der Humanistische Verband bei seinem Antrag auf das Grundgesetz und die Landesverfassung. Das Grundgesetz schreibt in Art. 3 Abs. 3 die Gleichheit vor dem Gesetz und in Art. 140 in Verbindung mit dem nach wie vor geltenden Art. 137, Abs. 7 der Weimarer Reichsverfassung die uneingeschränkte Gleichbehandlung von Weltanschauungs- mit Religionsgemeinschaften vor. Letztere Bestimmung ist auch in die Brandenburger Landesverfassung Art. 36 Abs. 5 eingegangen.

Grundgesetz

Artikel 3 [Gleichheit vor dem Gesetz]
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Artikel 4 [Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit]
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Artikel 140 [Recht der Religionsgemeinschaften]
Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
[Der Artikel 137, Abs. 7 der Weimarer Reichsverfassung lautet: : Den Religionsgemeinschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.]

Aus der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes:

Aus der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG folge „der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt. Er darf daher den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Dieses Gebot findet seine Grundlage nicht nur in Art. 4 I GG, sondern auch in Art. 3 III, Art. 33 I sowie Art. 140 GG i. V. mit Art. 136 I und IV und Art. 137 I WRV. Sie verwehren die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagen die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger“. Der Staat hat deshalb „auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten“; dabei kommt es, so das BVerfG weiter, auf die zahlenmäßige Stärke oder die soziale Relevanz nicht an.“ (Aus dem „Kruzifix-Urteil“ des BVerfG; zit. nach Martin Kutscha, Protokoll der Anhörung vom 11.01.1996 im Landtag Brandenburg, Ds. 2/360)

Verfassung des Landes Brandenburg

Artikel 36 [Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften]
(5) Vereinigungen zur gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung werden den Religionsgemeinschaften gleichgestellt.

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Artikel 20 [Gleichheit vor dem Gesetz]
Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.

Artikel 21 [Nichtdiskriminierung]
(1) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten.

Trotz klarer verfassungsrechtlicher Vorgaben lehnte das Bildungsministerium jedoch den Antrag des Verbandes mit der Begründung ab, es gäbe „zwar im Land Brandenburg grundsätzlich eine Gleichstellung der Weltanschauungsgemeinschaften mit den Religionsgemeinschaften, gemäß Artikel 7 Abs. 3 des Grundgesetzes sind jedoch die Religionsgemeinschaften bei der Erteilung des Religionsunterrichtes privilegiert“. Der Brief des Ministeriums vom 25.10.2000 verwies zudem auf das Brandenburgische Schulgesetz, in dem explizit nur von „Religionsgemeinschaften“ die Rede ist. Obwohl sich wegen des höherrangigen Verfassungsgebots der Gleichbehandlung auch Weltanschauungsgemeinschaften auf diese Formulierungen berufen können (vgl. die unten dokumentierte Expertise von Prof. Dr. Ludwig Renck), blieb die Brandenburger Landesregierung auch nach einer Reihe von Gesprächen bei ihrer Ablehnung. Aus diesem Grund stellte die PDS-Fraktion im Landtag einen Antrag zur Ergänzung der entsprechenden Formulierungen im Schulgesetz um das Wort „Weltanschauungsgemeinschaft.“

Dieser Antrag wurde am 16. Mai 2001 von den Regierungsfraktionen der SPD und CDU abgelehnt. Da der Humanistische Verband angekündigt hat, den Klageweg zu gehen, falls politisch keine Einigung erzielt werden kann, steht nun ein neuer verfassungsrechtlicher Rechtsstreit an. Angesichts der grundrechtlichen Relevanz des Falles hat sich in dieser Situation der Bundesvorsitzende der Humanistischen Union mit einem Offenen Brief an den Brandenburger Landtag gewandt.

Gerd Eggers / Roland Otte

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