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Petition für die namentliche Kennzeich­nung der Polizisten

31. Januar 1970

Die Petition der HU an die Landtage, Ablehungsgründe und Widerlegung dieser Gründe durch eine Petition der HU Bremen.

Aus: vorgänge 1/1970 S. 31- 40

Am 11. Juli 1968 hat die Humanistische Union (die Bundesgeschäftsstelle) an alle Landtage und Bürgerschaften der Länder der Bundesrepublik Petitionen gerichtet, die sehr konkrete Gesetzesänderungsvorschläge enthielten, die Polizisten – als gegen die Bürger eingesetzte Staatsmacht – durch Namensschilder oder Nummern kenntlich zu machen (s. vg 10/68, 5. 360). Die Verwirklichung dieser Gesetzespetition hätte erreichen können, daß die in der Person einzelner Polizeibeamter dem Bürger im wesentlichen anonym gegenübertretende „Staatsmacht” für den Bürger durchsichtig geworden wäre. Es hat zwar in den letzten zwei Jahren der Demonstrationen und Tumulte verschiedentlich Übergriffe von Polizisten gegeben, die in ihrer Mehrzahl nicht ahndbar waren, weil die Polizisten nicht identifiziert werden konnten. Die Humanistische Union bezweckte mit ihrer Gesetzesinitiative zur Kennzeichnung der Polizei trotzdem keine „Diffamierung” der Polizisten —sie müssen ja meistens nur ausbaden, was der Gesetzgeber an politischen Entscheidungen versäumte —, sondern eine bessere demokratische und rechtsstaatliche Beziehung zwischen Bürgern und Staatsgewalt (denn auf einen Übeltäter oder unüberlegt Handelnden unter den Polizisten kommen gewiß zehn bis hundert Polizisten, die sich untadelig verhalten); trotzdem wurde die Petition der HU von den meisten Landtagen, die antworteten, abschlägig beschieden, in der Regel mit dem schlechten Argument, man müsse die Polizei bei ihrem (allerdings) schwierigen Dienst vor Verdächtigungen schützen, außerdem reichten die geltenden Regelungen zur „Ausweispflicht” der Polizisten aus. Eine Reihe anderer Landtage hat die Petition der HU bis heute nicht einmal bearbeitet.

Eine Absage an die HU kam unter anderm von der Bremischen Bürgerschaft, dem Landtag des Bundeslandes Bremen.

Der Ortsverband Bremen der HU hat nun die Absage der Bremischen Bürgerschaft zum Anlaß genommen, eine neue Petition in Bremen einzureichen und die „Argumente” der Bremischen „Deputation für Inneres”, mit denen die Petition abgelehnt wurde, im einzelnen zu zerpflücken.

Wir stehen nicht an, diese Gegenargumentation und gründliche Widerlegung der Ansichten der Gegner der Polizei-Kennzeichnung im ganzen für durchschlagend zu halten. Es würde uns wundern, wenn die Bremische Bürgerschaft dagegen noch Erhebliches vorzubringen vermöchte.

Ziel der hier abgedruckten Petition ist zunächst, in der Hansestadt Bremen doch noch eine namentliche Kennzeichnung der Polizei gesetzlich durchzusetzen. Insofern gibt sie nur ein lokales Ereignis wieder.

Da aber die „Gegengründe” des Bremischen Parlaments so oder ganz ähnlich dieselben sind, wie alle betroffenen Landtage (und Polizei-Interessenorganisationen) sie vorbringen, hat die Widerlegung und neuerliche Petition des Bremer Ortsverbandes der HU allgemeines Gewicht. Das Land Bremen könnte zwar insachen Polizeikennzeichnung, wie der Bremer HU-Ortsverband hofft, ein fortschrittliches Exempel setzen. Da das Problem aber in allen Bundesländern noch ansteht, liefert die Petition der Bremer zudem ein nachahmenswertes Modell für gleichgerichtete Bürger-Initiativen in allen anderen Bundesländern.

Wir drucken diese in allen Begründungen erschöpfende Bremer Petition also nicht nur zur Dokumentation ab, sondern mit der ausdrücklichen Anregung: Nachahmung wird empfohlen!

A

Die Humanistische Union, Bundesverband, hat sich bereits mit einer Petition vom 11. Juli 1968 an die Bremische Bürgerschaft mit der Bitte gewandt, durch eine entsprechende Änderung des Bremischen Polizeigesetzes vom 5. Juli 1960 eine Kennzeichnung der Polizeivollzugsbeamten einzuführen.

Diese Petition wurde der seinerzeit für diese Fragen zuständigen Deputation für Inneres zur Behandlung zugewiesen. In ihrer Sitzung am 15. Oktober 1968 lehnte sie die Petition der Humanistischen Union ab, indem sie einstimmig einer von der Verwaltung erarbeiteten Stellungnahme zustimmte, die sich gegen die von der Humanistischen Union erbetene Kennzeichnung aussprach.

Die Bremische Bürgerschaft selbst hat hinsichtlich dieser Petition keinen Beschluß gefaßt (Bremische Bürgerschaft (Landtag) 7. Wahlperiode, Verhandlungsbericht der 16. Sitzung am 6. November 1968, Seite 1101).

Die Stellungnahme der Deputation für Inneres behandelt die Frage der Kennzeichnung des Polizeivollzugsdienstes durch Namens- beziehungsweise Nummernschilder keineswegs in überzeugender Weise.

Nachdem Anlaß für die Stellungnahme die Petition der Humanistischen Union war, hätte es nahe gelegen, sich unmittelbar mit den Argumenten für und gegen eine derartige Kennzeichnung auseinanderzusetzen. Sie beschränkt sich jedoch im wesentlichen auf einen Überblick über die Diskussion dieser Frage seit 1948 und zählt im Rahmen dieses Überblicks in zwangloser Reihenfolge die Gesichtspunkte auf, die von verschiedenen Seiten gegen eine Kennzeichnung des uniformierten Polizeivollzugsdienstes vorgebracht worden sei. Abgesehen davon, daß damit noch nicht einmal die Thematik der Petition vom 11. Juli 1968 voll erfaßt wurde, versagt sich die Stellungnahme gänzlich ein Eingehen auf die von der Humanistischen Union für eine Kennzeichnung vorgebrachten Gründe.

In Anbetracht der Wichtigkeit, die diese Frage nach Ansicht der Humanistischen Union für unser Gemeinwesen hat, meint sie, die Angelegenheit auch nach der abschlägigen Bescheidung ihrer Petition nicht auf sich beruhen lassen zu dürfen.

Der Umstand, daß die Bremische Bürgerschaft sich nunmehr mit dem Petitionsausschuß ein eigenes Organ zur Behandlung eingehender Petitionen geschaffen hat, gibt dem Bremer Ortsverband der Humanistischen Union Anlaß, zur Frage der Kennzeichnung des Polizeivollzugsdienstes diese neue Petition an die Bremische Bürgerschaft zu richten.

Mit der vorliegenden Petition erstrebt der Bremer Ortsverband der Humanistischen Union unter teilweiser Abweichung von der Petition vom 11. Juli 1968 die Ausweitung der bereits bestehenden Ausweisregelung für alle Polizeivollzugsbeamten und die Einführung einer Kennzeichnung der uniformierten Polizeivollzugsbeamten mit Namensschildern.

Die Notwendigkeit einer derartigen Regelung soll im folgenden begründet werden. Dabei wird insbesondere auf die in der Stellungnahme der Deputation für Inneres genannten Gründe eingegangen werden, da zu erwarten ist, daß sich die Verwaltung mit den dort vorgebrachten Gründen auch gegen diese Petition wenden wird.

B

Die gegen eine Kennzeichnung vorgebrachten Argumente

I – Bisherige Regelung ausrei­chend?

Zu einem ersten Argument gegen eine Kennzeichnung und entsprechend auch gegen eine Ausweitung der bestehenden Ausweisregelung der Polizeibeamten lassen sich die folgenden Gesichtspunkte der Stellungnahme der Deputation für Inneres zusammenfassen:

Die bestehende Regelung über die Ausweispflicht der Polizeibeamten sei ausreichend und habe ihren Zweck voll erfüllt. Beschwerden oder Unzulänglichkeiten seien nicht bekannt geworden. Diese Regelung gebe dem Bürger die Möglichkeit, unter Umständen gegen Polizeibeamte die rechtlichen Möglichkeiten der Dienstaufsichtsbeschwerde oder der Anzeige zu ergreifen. Denn Beamte, die sich Übergriffe zu Schulden kommen ließen, könnten auch ohne die verlangte Kennzeichnung festgestellt werden.

Dies ist in der Tat ein beachtenswertes Argument gegen eine Kennzeichnung. Wenn die bisherige Regelung gut ist und keine Unzulänglichkeiten offenbart hat, verliert die Forderung nach einer Änderung des bestehenden Zustandes viel von ihrer Bedeutung. Der Ausgangspunkt dieses Arguments trifft jedoch nicht zu; die bestehende Regelung hat erhebliche Mängel gezeigt.

Zunächst einmal ist klarzustellen, daß es sich bei der bisherigen Ausweispflicht der Polizeibeamten nur um eine Dienstpflicht handelt, nicht jedoch um eine Pflicht gegenüber dem Bürger oder gar um eine Zulässigkeitsvoraussetzung für das polizeiliche Eingreifen. Dies ergibt sich aus der Regelung dieser „Pflicht” in einem Erlaß. Der Bürger hat also keinen Anspruch gegen einen Polizeibeamten dahin, daß dieser sich ihm gegenüber ausweise (vergleiche auch Presseerklärung der Humanistischen Union in München vom 16. Mai 1969).

Bei der Frage, ob sich die bisherige Regelung bewährt hat, muß unterschieden werden zwischen normalen Situationen und Ausnahmesituationen.

In normalen Situationen, wie sie der tägliche Dienst der Polizei mit sich bringt, erfüllt die in dem Erlaß vom 23. März 1967 getroffenen Regelung zwar einige der Mindestanforderungen, die in einem demokratischen Rechtsstaat an die Polizei gestellt werden müssen.

Bestehende Schwächen der Regelung sind jedoch auch hier nicht zu übersehen. Der Polizeivollzugsbeamte hat sich regelmäßig nur auf Verlangen mit seinem Dienstausweis auszuweisen beziehungsweise seine Namenskarte zu übergeben (12 und 112 des Erlasses). Zwar soll von der Möglichkeit, Namenskarten zu übergeben, großzügig und nicht nur auf Verlangen Gebrauch gemacht werden (113 des Erlasses), aber infolge der Einstellung der Polizeibeamten zu dieser Frage wird diese Sollvorschrift nicht angewandt. Äußert der betroffene Bürger nicht sofort dieses Verlangen, so ist ihm mit der Ausweispflicht des Erlasses vom 23. März 1967 nicht mehr geholfen. Oftmals wird der betroffene Bürger aber erst nachträglich — möglicherweise erst nach Beratung durch einen Rechtsanwalt — zu der Ansicht gelangen, daß ein Polizeibeamter ihm gegenüber zu weit gegangen sei, und sich dann gegen den Übergriff wehren wollen. Eine derartige Überlegungsfrist ist dem betroffenen Bürger auch zuzubilligen, wie dies die Gesetze für die Wahrnehmung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln regelmäßig anordnen. Die Wahrnehmung dieser Möglichkeiten darf daher nicht faktisch an das zusätzliche Erfordernis geknüpft werden, daß der Betroffene noch in der Situation rechtzeitig von dem Polizeibeamten verlangt, er solle sich ausweisen.

In Erkenntnis dieses Mangels hat die Stadt Nürnberg seit kurzem die Regelung eingeführt, daß die dortigen Polizisten bei jeder Amtshandlung unaufgefordert ihre Visitenkarte übergeben (ADAC-Motorwelt 1969 Heft 4, Seite 28).

Ein weiteres Bedenken gegen die Regelung des Erlasses ergibt sich daraus, daß sie nicht nur entfällt, wenn ihre Erfüllung nach den Umständen des Einzelfalles nicht möglich ist, sondern bereits dann, wenn ihre Erfüllung nach diesen Umständen unzumutbar erscheint (13 und 114 des Erlasses). Angesichts des schon hinsichtlich der Unmöglichkeit der Ausweisung bestehenden Ermessensspielraumes des Polizeivollzugsbeamten führt ein zusätzliches Abstellen auf eine Zumutbarkeit dazu, daß es weitgehend von dem Polizeibeamten abhängt, ob er sich nun auszuweisen hat oder nicht. Die Bestimmung, daß die Ausweis„pflicht“ bei Unzumutbarkeit entfällt, ist geradezu eine Einlaßstelle für unsachliche Erwägungen.

Daß dies nicht nur theoretische Befürchtungen sind, ergibt sich aus einem Leserbrief der Gewerkschaft der Polizei Landesbezirk Bremen (Weser-Kurier vom 3. Februar 1969 Seite 20). Darin wird ausgeführt, daß eine Ausweisung nicht in Betracht komme, wenn dem „Sicherheitsgründe” entgegenständen oder die Befürchtung, daß durch die Namensnennung eine Diffamierung des betreffenden Beamten ermöglicht werde.

Demgegenüber vertritt der Bremer Ortsverband der Humanistischen Union die Ansicht, daß immer dann, wenn die Ausweisung möglich ist, das heißt, sie die Amtshandlung weder erschwert noch gefährdet (I 3 des Erlasses), sie für den Polizeibeamten auch zumutbar ist. Die Fälle, in denen eine Ausweisung durch Dienstausweis und Namenskarte entfallen müssen, werden in hinreichender Weise durch die Einschränkung erfaßt, nach der die Ausweis„pflicht“ bei Unmöglichkeit entfällt.

Schon für diese Normalsituation ergibt sich damit, daß die bestehende Ausweisregelung ungenügend ist.Als Maßnahme zur Behebung dieser Mängel bietet sich eine Ausweitung der bestehenden Ausweisregelung an, wie sie weiter unten präzisiert wird.

In Ausnahmesituationen versagt die bisherige Regelung dagegen gänzlich. In diesen Fällen entfällt regelmäßig die Dienstpflicht zur Ausweisung mit Ausweis und Namenskarte, weil eine Ausweisung auf diese Art und Weise nicht möglich sein wird. Eine Kennzeichnung mit Namensschildern würde dagegen auch in diesen Situationen eine Identifizierung des Polizeibeamten ermöglichen.

Auch die Stellungnahme der Deputation für Inneres geht davon aus, daß die Frage der Kennzeichnung mit Namensschildern insbesondere bei öffentlichen Tumulten akut wird und dann, wenn die Polizei gegen (!) die Bürger eingesetzt wird.

Die Vorstellung, die der Stellungnahme zugrunde liegt, wenn sie die bestehende Ausweisregelung für Polizeivollzugsbeamte für ausreichend erklärt, daß nämlich in normalen Situationen die Ausweis„pflicht“ der Polizeibeamten erforderlich sei, um dem Bürger die Möglichkeit zu geben, sich gegen Übergriffe zu wehren, nicht jedoch in Ausnahmesituationen, ist schwer nachvollziehbar.

Gerade in der „hektischen Atmosphäre öffentlicher Tumulte” ist die Gefahr für Fehlhandlungen der Polizeibeamten — wie auch der Demonstranten — erheblich gesteigert. Die notwendige Folgerung hieraus ist, daß insbesondere in diesen Situationen dem Bürger die Möglichkeit gegeben werden muß, sich gegen Übergriffe wirksam zur Wehr zu setzen, und nicht nur in den vergleichsweise harmlosen Normalsituationen.

Der Umstand, daß es sich bei den Situationen, in denen eine Kennzeichnung wesentlich ist, um Ausnahmesituationen handelt, steht nicht einer Vorsorge für die Notwendigkeiten solcher Situationen entgegen. Und daß es hier um eine grundsätzliche Frage des Verhältnisses von Staatsgewalt und Bürger geht, zeigt die Verbissenheit, mit der ohne Rücksicht auf die Richtigkeit von Tatsachen und Argumenten gegen eine Kennzeichnung Stellung genommen wird. Eine Kennzeichnung mit Namensschildern in Verbindung mit einer Ausweisregelung durch Dienstausweis und Namenskarte führt darüberhinaus auch in Normalsituationen zu besseren Ergebnissen.

Sie ermöglicht es, jeden uniformierten Polizeivollzugsdienst mit seinem Namen anzusprechen und trägt damit zu einem persönlicheren Verhältnis der Bevölkerung zu ihrer Polizei bei. Sie bringt damit auch eine Lösung für die Fälle, in denen der Polizeibeamte keine Amtshandlung vornimmt und die Frage einer Ausweisung sich noch nicht stellt. Auch macht sie Vorgänge unmöglich wie die, in denen Bürger nur deshalb verhaftet worden sind, weil sie sich nach dem Namen beziehungsweise der Dienstnummer eines Polizeibeamten erkundigt hatten (siehe Stern 1968 Heft 25 Seite 132).

Daß die hier geäußerten Bedenken auch für die Praxis Bedeutung haben, ergibt sich nur zu gut aus den Vorkommnissen der letzten Zeit. Erfreulicherweise sind öffentliche Tumulte oder Demonstrationen in Bremen im Gegensatz zu anderen Städten der Bundesrepublik Deutschland nicht an der Tagesordnung.

Die einzigen größeren Demonstrationen in Bremen waren in der letzten Zeit die vom Januar vergangenen Jahres anläßlich der Fahrpreiserhöhungen der Bremer Straßenbahn AG. Bezüglich dieser Demonstrationen ergeben sich die Mängel der bisherigen Regelung mit eindringlicher Deutlichkeit aus den Umständen der Strafverfolgung der Rechtsbrüche, die im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen geschehen sind.

Die zahlreichen Verfahren gegen Demonstranten sind nicht nur wesentlich schneller abgeschlossen worden als die weniger zahlreichen Verfahren gegen Polizeibeamte (Weser-Kurier vom 15. Januar 1969 Seite 10), sie haben auch in vielen Fällen zu Verurteilungen geführt, während der einzige Polizeibeamte, gegen den Anklage erhoben worden ist, freigesprochen wurde (Bremer Nachrichten vom 6. Juni 1969). Die Schwierigkeiten der Strafverfolgung von Polizeibeamten erklärt der Sprecher der Justizpressestelle, Oberstaatsanwalt Wendisch, in einer im Januar 1969 veröffentlichten Erklärung (Weser-Kurier vom 15. Januar 1969 Seite 10) damit, daß die Ordnungshüter nach den Festnahmen präzise Angaben über die Gegner der höheren Straßenbahntarife hätten machen können, während sich die Angaben der Demonstranten vielfach in dem vagen Vorwurf erschöpft hätten, daß ein Beamter sie geschlagen habe.

Infolge der Uniformierung und der damit verstärkten Anonymität der Polizeibeamten war es den betroffenen Demonstranten also nicht möglich, Polizeibeamte, die sich Übergriffe zuschulden kommen ließen, zu beschreiben oder gar zu identifizieren. Im Gegensatz zu den Demonstranten konnten diese Beamten daher für ihr Verhalten nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Auch bei der im Vergleich zu den Straßenbahndemonstrationen harmlos verlaufenden Demonstration vom 16. September 1969 anläßlich einer Veranstaltung der NPD haben sich verschiedene Polizeibeamte nach glaubwürdigen Berichten in den Bremer Tageszeitungen Übergriffe zuschulden kommen lassen, indem sie vorläufig festgenommene Demonstranten sogenannten Nachbehandlungen unterzogen (Weser-Kurier vom 17. September 1969 Seite 9). Es ist kaum zu erwarten, daß Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in dieser Angelegenheit zu einem positiveren Ergebnis führen werden als bei den Verfahren aus Anlaß der Straßenbahndemonstrationen.

Berücksichtigt werden können in diesem Zusammenhang auch die Vorkommnisse in anderen Städten der Bundesrepublik. Sie sind auch für Bremen relevant, da sie Ausdruck der auch in Bremen gegebenen Situation sind.

So sind bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt in 35 Verfahren die Übergriffe von Polizisten, nicht jedoch deren Namen oder Dienstnummern bekannt (Stern 1968 Heft 25 Seite 132 Fußnote 2).

Die Schwierigkeiten einer Strafverfolgung gegen Polizeibeamte, die sich in Ausnahmesituationen Übergriffe zuschulden kommen lassen, zeigen sich auch an Vorgängen in Berlin im vergangenen Jahr. In dem Fall waren die betreffenden Polizeibeamten sogar fotografiert worden und auf dem Bild zu erkennen. Trotz dieser günstigen Voraussetzungen gelang es den Berliner Strafverfolgungsbehörden jedoch nicht, die drei Polizeibeamten zu ermitteln, und wenn nicht von privater Seite die Identifizierung gelungen wäre, wäre der Ermittlungsvorgang mangels Aufklärbarkeit eingestellt geblieben (Weser-Kurier vom 3./4. Februar 1968 Seite 1). Diese Schwierigkeit wäre sicher nicht eingetreten, wenn diese Beamten Namensschilder getragen hätten.

Diese Schwierigkeiten werden dadurch noch verstärkt, daß Polizeibeamte oftmals nicht an einer Strafverfolgung von Kollegen, die Übergriffe begangen haben, interessiert sind. Übergriffe der Frankfurter Polizei anläßlich einer Demonstration vom Mai 1968 — auch hier handelte es sich um „Nachbehandlungen” — konnten mangels Aufklärungsbereitschaft der Polizei nicht aufgeklärt werden (Spiegel 1969 Nr. 34 Seite 60). Im Verlauf der Demonstration vom 16. September 1969 in Bremen hinderte ein Polizeiobermeister sogar aktiv einen Staatsanwalt an Ermittlungen gegen einen Kollegen wegen Körperverletzung im Amt (Weser-Kurier vom 18. September 1969 Seite 13).

Aus alledem ergibt sich, wie unbefriedigend die augenblickliche Regelung ist, die dazu führt, daß Polizeibeamte, die sich in derartigen Situationen Übergriffe zuschulden kommen lassen, in der Regel nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Die Behauptung der Stellungnahme der Deputation für Inneres, daß Polizeibeamte, die sich Übergriffe zu Schulden kommen ließen, auch ohne die gewünschte Kennzeichnung ermittelt werden könnten, ist demnach unzutreffend.

Wie die Deputation für Inneres an anderer Stelle einräumt, ist die bestehende Regelung lediglich geeignet, unter Umständen (!) diese Möglichkeit zu schaffen. Insbesondere in Ausnahmesituationen, wie sie öffentliche Tumulte darstellen, sind diese Umstände nicht gegeben.

Wenn die Deputation für Inneres weiter erklärt, die bestehende Regelung habe ihren Zweck voll erfüllt, so muß zurückgefragt werden, welchen Zweck sie denn eigentlich habe. Jedenfalls hat sie nicht den Zweck, in jedem Fall eine Identifizierung der Beamten zu ermöglichen, die Übergriffe begangen haben.

Bei der weiteren Erklärung der Deputation für Inneres, Beschwerden oder Unzulänglichkeiten seien nicht bekannt geworden, ist von ihr offenbar übersehen worden, daß Anlaß für die Stellungnahme eine Petition der Humanistischen Union war, die sehr wohl Hinweise auf Unzulänglichkeiten der jetzigen Regelung enthielt und damit wohl auch als eine Beschwerde angesprochen werden mußte.

In diesem Punkt widerspricht sich die Stellungnahme auch selbst, da sie an anderer Stelle durchaus wiederholte Bestrebungen zur Wiedereinführung einer Kennzeichnung zur Kenntnis nimmt, die ja wohl ebenfalls mit der bestehenden Regelung nicht einverstanden waren.

II – Diskri­mi­nie­rung der Polizei­be­am­ten?

Zu einem zweiten Argument gegen eine Kennzeichnung lassen sich die folgenden Gesichtspunkte der Stellungnahme der Deputation für Inneres zusammenfassen:

Die Kennzeichnung der Polizeibeamten mit Namensschildern und Dienstnummern bedeute eine Diskriminierung dieser Beamten und werde von ihnen nicht gewünscht. Der Beamte wolle keine Nummer sein. Deshalb sollte den Polizeibeamten gegenwärtig eine Kennzeichnung nicht zugemutet werden. Besonders diskriminierend sei dabei der Hinweis der Befürworter der Kennzeichnung, sie sei geeignet, die Polizeibeamten zu einem rechtmäßigen Verhalten zu veranlassen. Die Einführung einer Kennzeichnung komme daher auch schon deshalb nicht in Frage, weil sie die Anerkennung eines Pauschalurteils über die Polizei bedeuten würde.

Mit Bezug auf dieses Argument war in der Petition der Humanistischen Union vom 11. Juli 1968 die Ansicht vertreten worden, das Bekenntnis zum eigenen Namen verletze die Menschenwürde des Polizeibeamten nicht.

Das ist im folgenden zu verdeutlichen. Zweifellos verletzt ein Bekenntnis zum eigenen Namen nicht das Menschenrecht des sich zu ihm Bekennenden.

Hier handelt es sich jedoch insoweit um einen anders gelagerten Fall, als durch die von der Humanistischen Union gewünschte Regelung jeder uniformierte Polizeivollzugsbeamte gezwungen wird, sich durch ein Namensschild zu seinem Namen zu bekennen. Eine Verpflichtung, sich zu seinem Namen zu bekennen, stellt jedoch in unserer Rechtsordnung keine Besonderheit dar. Sie ergibt sich für den Bürger unter anderem aus § 360 1 Ziffer 8 StGB, der die Verweigerung von Angaben über den Namen und unrichtige Angaben bezüglich des Namens gegenüber den zuständigen staatlichen Stellen unter Strafe stellt. Ebenso ergibt sie sich für ihn aus der in § 9 BrPoIG begründeten Ausweispflicht, die in § 281 StGB ebenfalls strafrechtlich abgesichert ist.

Und für den Polizeibeamten bedeutet die schon jetzt bestehende, auf einem Erlaß beruhende Ausweisregelung eine Dienstpflicht, sich zu seinem Namen zu bekennen.

Daß diese bereits bestehende Regelung der Ausweis„pflicht“ für die eine oder für die andere Seite die Menschenwürde verletze oder den Betroffenen diskriminiere, ist bislang noch nicht einmal erörtert worden. Demgegenüber bedeutet eine Kennzeichnung der Polizeibeamten lediglich eine Steigerung ihrer Pflicht, sich zu ihrem Namen zu bekennen. Der betroffene Bürger kann das Namensschild lesen, auch wenn es dem Polizisten unmöglich oder nicht zumutbar ist, sich auszuweisen, und darüberhinaus können nicht Betroffene ebenfalls das Namensschild lesen. Erst diese von den Bürgern gewünschte Steigerung, die dazu führt, daß sich Polizeivollzugsbeamte in entsprechendem Umfang zu ihrem Namen — und damit zu ihrer Verantwortlichkeit — bekennen müssen, wie die Bürger es gegenüber den Polizeibeamten zu tun verpflichtet sind, ist in der Diskussion um die Kennzeichnung der Anlaß, eine Diskriminierung und eine Verletzung der Menschenwürde dieser Beamten zu beklagen.

Dabei befinden sich alle übrigen Beamten, deren Name und Dienstbezeichnung neben oder auf der Tür zu ihrem Dienstraum angebracht sind, bereits jetzt in der Lage, wie sie für die Polizeivollzugsbeamten erstrebt wird, ohne daß sich diese Beamten bislang dadurch diskriminiert oder in ihrer Menschenwürde beeinträchtigt gefühlt hatten. Auch Behördentelefonbücher und das Nachschlagewerk „Die Bundesrepublik” geben Auskunft über den Namen von Beamten.

Weiter bietet sich ein Vergleich mit dem Arbeitsrecht an. Es ist weithin üblich, daß die Arbeitnehmer, die mit dem Publikum in Berührung kommen, durch Namensschilder gekennzeichnet werden, und es unterliegt keinem Zweifel, daß der Arbeitgeber eine solche Kennzeichnung einführen kann. Das aber wäre ausgeschlossen, wenn eine derartige Kennzeichnung wirklich eine Diskriminierung oder Verletzung der Menschenwürde bedeuten würde.

Wenn aber eine solche Kennzeichnung in der privatrechtlichen Beziehung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich ist, um wieviel eher ist sie möglich in dem öffentlich rechtlichen Verhältnis von Dienstherrn und dem sich in einem besonderen Gewaltverhältnis befindlichen Beamten?

Es ergibt sich damit, daß eine Kennzeichnung der uniformierten Polizeivollzugsbeamten für diese keine Diskriminierung bedeutet und auch hinsichtlich ihrer Menschenwürde zu keinerlei Bedenken Anlaß bietet.

Auch besteht kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 3 Abs. 5 GG dahingehend, daß Berufsbeamte anonym sein müßten.

Trotzdem stellen sich die Polizeibeamten gegen eine derartige Kennzeichnung (Leserbrief im Weser-Kurier vom 3. Februar 1969 Seite 20), und dieser Wunsch soll nicht leicht genommen werden.

Die nicht seltene Neigung von Politikern, politische Probleme nicht politisch zu lösen, sondern von der Polizei austragen zu lassen, führt in nicht unerheblichem Maße dazu, daß Polizisten in Konfliktsituationen geraten, denen sie nicht immer in jedem Augenblick gewachsen sind. Insoweit kann man von einer gefahrengeneigten Tätigkeit des Polizeibeamten sprechen. Der Beamte trägt jedoch für sein Verhalten regelmäßig jedenfalls in strafrechtlicher Hinsicht die volle persönliche Verantwortung, wie sich aus § 57 Abs 1 BrBG ergibt. Eine rechtfertigende dienstliche Anordnung wird gerade in den hier in Betracht kommenden Fällen regelmäßig nicht vorliegen.

Zwar sieht § 46 BrPo1G in wesentlich weiterem Umfang für Polizeivollzugsbeamte eine gerechtfertigte Befolgung eines rechtswidrigen Befehls vor als § 57 Abs 2 und 3 BrBG, an dessen Stelle § 46 BrPoIG insofern tritt. Soweit § 46 BrPolG jedoch geringere Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund des Handelns auf Befehl stellt als § 57 BrBG beziehungsweise der gleichlautende § 38 BRRG, unterliegt die Rechtsgültigkeit des § 46 BrPolG starken Bedenken aus § 1 BRRG.

Bei § 38 BRRG handelt es sich nicht um eine Richtlinie, sondern um eine Anweisung an den Bremer Gesetzgeber, eine entsprechende Regelung einzuführen. Ihm war damit die Möglichkeit genommen, eine von der Anweisung abweichende Regelung zu treffen (vergleiche insbesondere die Begründung des BRRG, Verhandlungen des Deutschen Bundestages 2. Wahlperiode 1953 Drucksache 1549 Seiten 30 und 34, und Änderungsvorschläge des Ausschusses für Beamtenrecht, ebenda, Drucksache 3363 Seite 5; außerdem von Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, Anmerkung III 5a zu Art 75 GG).

Unter diesen Umständen wird der Wunsch der Polizeibeamten verständlich, das ihnen auferlegte Risiko rechtmäßigen Verhaltens durch eine Flucht in die Anonymität, die, wie bereits gezeigt, auch durch die Uniformierung noch begünstigt wird, zu verringern.

Wie sehr Polizeibeamte insbesondere bei öffentlichen Tumulten an der Aufrechterhaltung ihrer Anonymität interessiert sein können, ergibt sich schlaglichtartig aus Vorgängen in Heidelberg aus diesem Jahr. Dort erstreckten sie ihren Einsatz auf anwesende Pressevertreter und vernichteten insbesondere Film-und Fotoaufnahmen von ihrem Vorgehen gegen Studenten (Weser-Kurier vom 11./12. Januar 1969 Seite 1; wegen weiterer ähnlicher Vorgänge siehe Stern 1968 Heft 25 Seite 147).

Auch die Fälle, in denen die Frage eines Bürgers nach dem Namen beziehungsweise der Dienstnummer eines Polizeibeamten Anlaß für seine Festnahme war, illustrieren diese Lage gut (Stern 1968 Seite 132 Heft 25).

Dem Wunsch der Polizeibeamten nach Anonymität soll angesichts der teilweise bestehenden Überforderung der Polizei eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden. Die Humanistische Union unterstützt daher auch die Bemühungen der polizeilichen Interessenvertretungen, die Polizei so weit wie möglich aus politischen Auseinandersetzungen herauszuhalten.

Trotzdem kann der Abneigung der Polizeivollzugsbeamten gegen eine Kennzeichnung keine entscheidende Bedeutung zukommen. Wie bereits gezeigt, führt die Anonymität der Polizeibeamten zu einer faktischen Aushöhlung der gesetzlich festgelegten persönlichen Verantwortlichkeit eines jeden Beamten. Eine derartige Verschiebung der Risiken auf den Bürger entgegen der in § 38 BRRG zum Ausdruck kommenden Absicht des (Bundes-) Gesetzgebers ist nicht legitim und darf von staatlichen Organen, die ja das Interesse aller Bürger zu wahren haben, nicht geduldet werden. Entscheidende Bedeutung ist dabei auch dem Umstand zuzumessen, daß die Bevölkerung mit überwiegender Mehrheit eine entsprechende Kennzeichnung wünscht, wie sich aus der auf Veranlassung der Humanistischen Union durchgeführten repräsentativen Meinungsumfrage ergibt.

Daher muß entgegen der Ansicht des Senators für Inneres den Polizeivollzugsbeamten bereits gegenwärtig eine Kennzeichnung zugemutet werden, wobei allerdings zu fragen ist, ob eine Regelung, die es mit der persönlichen Verantwortung der Polizeibeamten im Sinne der §§ 38 BRRG, 57 BRBG ernst nimmt, als eine Zumutung bezeichnet werden kann.

Zu dem in diesem Zusammenhang von der Stellungnahme der Deputation für Inneres ebenfalls vorgebrachten Gesichtspunkt, der Polizeibeamte wolle keine Nummer sein, sei angemerkt, daß sich die Humanistische Union in erster Linie für eine Kennzeichnung mit Namensschildern eingesetzt hat und einsetzt. Abgesehen davon dürfte ein Polizeibeamter auch durch eine Kennzeichnung mit einer Nummer noch nicht selbst zu einer Nummer werden.

Weiter meint die Stellungnahme der Deputation für Inneres, eine Einführung der Kennzeichnung der Polizeibeamten komme deshalb nicht in Frage, weil damit das Pauschalurteil bestätigt würde, die Polizei müsse zu einem rechtmäßigen Verhalten angehalten werden.

Hierzu ist zu sagen, daß jedenfalls nach Ansicht der Humanistischen Union das Erforderliche zu tun ist ohne Rücksicht darauf, ob irgendjemand darin eine Bestätigung eines Pauschalurteils erblicken könnte.

Im übrigen hat die Humanistische Union ein derartiges Pauschalurteil, soweit es bestehen sollte, nie geteilt und teilt es auch jetzt nicht. Sie ist vielmehr der Ansicht, daß die Polizei in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle — unter zum Teil sehr ungünstigen sachlichen und personellen Umständen — wertvolle Arbeit für die Gesellschaft leistet. Das ändert jedoch nichts daran, daß besonderer Augenmerk auf die Fälle zu richten ist, in denen Polizeibeamte in ihren Aufgaben überfordert werden, und dies auch gerade im Interesse der Polizei.

III – Schlechter­stel­lung der Polizei­be­am­ten?

Drei der Gesichtspunkte, die die Stellungnahme der Deputation für Inneres aufzählt, lassen sich zu einem dritten Argument gegen eine Kennzeichnung des Polizeivollzugsdienstes zusammenfassen.

Die Stellungnahme geht davon aus, es gäbe keine ungleichen Rechtspositionen zwischen Bürgern und Polizeibeamten. Die vorgeschlagene Kennzeichnung würde jedoch eine Ungleichheit der Rechtspositionen zu Lasten der Polizeibeamten herbeiführen, da durch sie lediglich deren Anonymität beseitigt werde, nicht aber die der Bürger. Eine solche Schlechterstellung sei weiter deshalb um so weniger gerechtfertigt, als die Polizeibeamten nicht aus eigener Initiative und im eigenen Interesse tätig würden, sondern im Interesse des Staates und kraft staatlichen Auftrages.

Mit Bezug auf dieses oftmals vorgebrachte Argument hat die Humanistische Union bereits in ihrer Petition vom 11. Juli 1968 darauf hingewiesen, daß sich Bürger und Polizeibeamte deswegen in Wahrheit in völlig ungleichen Positionen befinden, weil der polizeiliche Vollzugsbeamte im Dienst die staatliche Exekutivmacht gegenüber dem Bürger repräsentiert.

Die Argumentation der Stellungnahme beruht auf einer Begriffsvertauschung, die darin besteht, daß Gleichheit der Rechtspositionen von Bürgern und Polizeibeamten einmal im staatsbürgerlichen Sinne und zum anderen in der Beziehung vom Polizeibeamten zum Bürger verstanden wird.

Es ist richtig, daß den Polizeibeamten dieselben staatsbürgerlichen Rechte zustehen, wie allen übrigen Bürgern unseres Staates auch, soweit sich nicht aus dem besonderen. Gewaltverhältnis, in dem sie sich als Beamte befinden, etwas anderes ergibt, wie zum Beispiel in Bezug auf ihre parteipolitische Betätigung (§ 54 BrBG).

Dieser Umstand sagt jedoch nichts darüber aus, wie die Rechtspositionen der Polizeivollzugsbeamten im Dienst im Verhältnis zu denen der Bürger ausgestaltet sind

In dieser Beziehung besteht ein erheblicher Unterschied. Der Polizeibeamte ist dem Bürger gegenüber mit staatlicher Hoheitsgewalt ausgestattet, die Beamten des uniformierten Polizeivollzugsdienstes sind sogar der sinnfälligste Ausdruck der Staatsgewalt.

Das verkennt auch die Stellungnahme nicht ganz, wenn es darin heißt, der Polizeibeamte werde kraft staatlichen Auftrages tätig. Allerdings vermeidet sie es, daraus die erforderlichen Schlußfolgerungen zu ziehen.

Der Polizeibeamte kann sich im Rahmen der Gesetze und seines pflichtgemäßen Ermessens jederzeit einseitig mit Ge- und Verboten an den Bürger wenden, die für diesen jedenfalls zunächst einmal verbindlich sind.

Der Umstand, daß der Polizeibeamte im Dienst dem Bürger nicht als Gleichberechtigter, sondern in seiner Funktion als Repräsentant staatlicher Hoheitsgewalt als Übergeordneter gegenübertritt und insoweit kraft öffentlichen Rechts tätig wird, ist eine solche Selbstverständlichkeit, daß der Deputation für Inneres nicht unterstellt werden kann, er sei ihr unbekannt geblieben. Ein vertiefendes Eingehen hierauf erübrigt sich.

Es soll lediglich auf die strafrechtlichen Auswirkungen dieser besonderen Stellung des Polizeibeamten gegenüber dem Bürger hingewiesen werden. So gelten für den Polizeibeamten im Gegensatz zum Bürger die §§ 331 bis 359 StGB, die einen eigenen Abschnitt im StGB bilden. Diese Bestimmungen über die Amtsdelikte bringen teils Straftatbestände, die für den Bürger nicht gelten, teils verschärfen sie die Strafrahmen allgemeiner Straftatbestände. Ihnen korrespondiert der Straftatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 113 StGB). Die Sonderstellung des Polizeibeamten gegenüber dem Bürger zeigt sich in dieser Bestimmung noch besonders deutlich in der Auffassung der Rechtswidrigkeit der Amtshandlung als eines objektiven Merkmals der Strafbarkeit.

Die Folgerung, die aus dieser besonderen Stellung des Polizeibeamten mit ihrer starken Pflichtbindung hinsichtlich der Frage der Kennzeichnung zu ziehen ist, ist die, daß es nicht sachgerecht ist, den Polizeibeamten formal dem Bürger gleichzustellen in dem von der Deputation für Inneres gemeinten Sinne, daß, da die Bürger keine Namensschilder tragen, auch die Polizeibeamten keine derartigen Schilder tragen dürften. Vielmehr ist ein die besondere Funktion des Polizeibeamten berücksichtigendes Gleichgewicht — auf höherer Ebene — anzustreben.

Ein solches zutreffenderweise allein als Gleichgewicht anzusprechendes funktionales Gleichgewicht wird erst durch eine Kennzeichnung der Beamten des uniformierten Polizeivollzugsdienstes mit Namensschildern erreicht.

Entgegen der Ansicht der Deputation für Inneres führt die Einführung einer Kennzeichnung der Polizeivollzugsbeamten nicht zu einer Schlechterstellung dieser Beamten in ihren Positionen gegenüber denen der Bürger.

Die erstrebte Kennzeichnung der Polizeivollzugsbeamten ermöglicht ihre leichtere Identifizierung, wie die Stellungnahme selbst einräumt. Eine leichtere Identifizierung der Polizeibeamten würde dazu führen, daß die Bürger in den Fällen, in denen sich Polizeibeamte Übergriffe zuschulden kommen lassen, und auch die Stellungnahme der Deputation für Inneres vermag die Möglichkeit solcher Übergriffe nicht auszuschließen,

jedenfalls leichter die ihnen zu Gebote stehenden Rechtsbehelfe ausüben können. Regelmäßig wird es jedoch von der Identifizierung abhängen, ob. die Bürger ihre Rechte überhaupt mit Aussicht auf Erfolg wahrnehmen können.

Der durch eine Kennzeichnung geschaffenen Möglichkeit des Bürgers, sich bei Bedarf über die Identität des sich an ihn wendenden Polizeibeamten zu informieren, entspricht die Möglichkeit des Polizeibeamten, eine Identitätsfeststellung des Bürgers vorzunehmen und zu erzwingen.

Der Bürger muß sich in der Praxis immer ausweisen oder eine anderweitige Feststellung seiner ldentität dulden, wenn dies ein Polizeibeamter von ihm verlangt. Zwar erlaubt § 9 BrPoIG nur unter der Voraussetzung eine Identitätsfeststellung, daß sie zur Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe erforderlich erscheint. Da aber dem betroffenen Bürger die Art der polizeilichen Aufgabe nicht bekannt ist und er sie nicht nachprüfen kann, und da § 9 BrPolG außerdem einen Handlungsspielraum eröffnet, ist diese Einschränkung in der Praxis ohne Bedeutung. Zu bedenken ist dabei auch, daß die gewünschte Kennzeichnung in weitem Umfang lediglich die Erschwerung der ldentifizierung der Polizeibeamten ausgleicht, die durch ihre Uniformierung eintritt. Das so herzustellende Gleichgewicht entspricht den Wertungen der Rechtsordnung. Sie räumt dem Bürger nicht deshalb Möglichkeiten ein, sich gegen Übergriffe von Polizeibeamten zur Wehr zu setzen, damit diese dann an der Anonymität der einzelnen Polizeibeamten scheitern.

Wenn man so will, bedeutet die Beendigung eines Zustandes der faktischen Besserstellung der Polizeibeamten gegenüber den Bürgern eine Schlechterstellung dieser Beamten. Jedoch handelt es sich nicht um eine Schlechterstellung gegenüber dem Bürger; vielmehr wird dadurch eine Gleichstellung beider Positionen gerade erst erreicht.

Die in der Stellungnahme beschworene Anonymität der Bürger, die noch nicht einmal ihre Fingerabdrücke in ihren Ausweispapieren haben wollen, wird durch die der Polizei zu Gebote stehenden Zwangsmittel mehr als aufgewogen.

Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes ergibt sich ebenfalls nichts anderes. Art 3 GG gebietet keine schematische Gleichbehandlung, sondern verbietet lediglich die Ungleichbehandlung des wesenhaft Gleichen. Daß sich aber gerade die Positionen der Polizeibeamten von denen der Bürger wesentlich unterscheiden, ist bereits gezeigt worden. Art 3 GG greift damit nicht ein.

Was schließlich die Meinung der Stellungnahme angeht, die „Schlechterstellung” sei um so weniger, also nicht, gerechtfertigt, als die Polizeibeamten kraft staatlichen Auftrages tätig würden, so ergibt sich daraus richtigerweise wie bereits ausgeführt, die gegenteilige Schlußfolgerung.

IV – Unver­ein­bar­keit mit der Polizis­ten­aus­bil­dung?

Weiter führt die Stellungnahme der Deputation für Inneres als Grund gegen eine Kennzeichnung an, sie sei nicht mit der Ausbildung der Polizeibeamten zu vereinbaren.

Die Erziehung des Polizeibeamten zu einem hohen Gefühl der Verantwortlichkeit lasse sich nur auf der Grundlage des Vertrauens aufbauen. Weiter sei die Ausbildung darauf abgestellt, daß es keine ungleichen Rechtspositionen zwischen Bürgern und Polizeibeamten gebe.

Abgesehen davon, daß „hohe Gefühle” möglicherweise nicht

das sind, was die Deputation für Inneres zum Ausdruck bringen wollte, fällt hier die unkritische Verwendung des Begriffs des Vertrauens auf, die an frühere Mißbräuche erinnert.

Was für ein Vertrauen ist hier von der Deputation für Inneres gemeint? Wer soll es gegenüber wem aufbringen?

Nach dem Wortlaut ist ein Vertrauen zwischen Ausbildern und Ausgebildeten angesprochen. Wieso eine Kennzeichnung für ein solches Vertrauensverhältnis von Bedeutung sein soll, ist nicht ersichtlich.

Möglicherweise meint die Deputation für Inneres jedoch ein Vertrauensverhältnis zwischen Polizeibeamten und Bürgern, und zwar das Vertrauen der Bürger zu den Polizeibeamten. Das hätte dann zwar etwas mit der Dienstausübung der Polizeibeamten zu tun, kaum jedoch etwas mit deren Ausbildung. Sicherlich ist ein gutes Verhältnis zwischen Bürgern und Polizeibeamten erforderlich. Dieses Verhältnis läßt sich jedoch nicht lediglich auf die Formel bringen, die Bevölkerung müsse eben zur Polizei Vertrauen haben. Zum Begriff des Vertrauens gehört, daß es — sanktionslos — enttäuscht werden kann (BGHZ 26, 274 (278, 279)). Eine sanktionslose Enttäuschung des der Polizei entgegengebrachten Vertrauens kommt jedoch gerade nicht in Betracht. Hinzukommen zum Vertrauen zur Polizei muß also eine Kontrolle der Polizei. Nur mit diesem Begriffspaar läßt sich das Verhältnis der Bürger zur Polizei beschreiben, wie überhaupt in einem demokratischen Rechtsstaat Vertrauen und Kontrolle korrespondierende und keine sich ausschließenden Elemente jeder Organisation sind.

Daher würde eine Kennzeichnung der Polizeibeamten, die eine leichtere und bessere Kontrolle ermöglichen würde, gerade das in dialektischer Abhängigkeit dazu stehende Vertrauen der Bürger zur Polizei stärken, den Abbau von negativen Pauschalurteilen fördern und damit der Polizei die Erfüllung ihrer Aufgaben erleichtern.

So, wie die Stellungnahme das Vertrauen versteht, ergibt sich als notwendige Konsequenz, daß das bei den jungen Polizeibeamten erstrebte Gefühl der Verantwortlichkeit in Widerspruch gerät mit der vollen persönlichen Verantwortung der §§ 57 BrBG, 38 BRRG, was kaum Ziel der Polizeiausbildung sein kann.

Was weiter die Ausbildungsgrundlage angeht,. zwischen Bürgern und Polizeibeamten beständen keine ungleichen Rechtspositionen, kann auf bereits Gesagtes verwiesen werden (vergleiche oben). Wenn dies wirklich eine Ausbildungsgrundlage sein sollte, so kann nur die Anpassung der Ausbildung an die wirklichen Gegebenheiten empfohlen werden.

Es ergibt sich damit, daß auch diese Gesichtspunkte der Stellungnahme einer Kennzeichnung nicht entgegenstehen.

V – Auslän­di­sche „Vorbilder” unver­wert­bar?

Als ein fünftes Argument gegen eine Kennzeichnung kann der Hinweis der Deputation für Inneres aufgefaßt werden, daß angelsächsische Vorbilder bei uns nicht nachgeahmt werden könnten, weil das auch die Übernahme der entsprechenden Verhältnisse und Traditionen voraussetze.

Abgesehen davon, daß es hier nicht darum geht, ausländische Vorbilder nachzuahmen, sondern darum, das Richtige zu tun, äußert sich die Stellungnahme der Deputation für Inneres bedauerlicherweise nicht zu der Frage, welche gesellschaftlichen Voraussetzungen nach ihrer Ansicht in angelsächsischen Ländern im Gegensatz zu uns gegeben sind, die dort erst eine

Kennzeichnung ermöglichen. Im übrigen •wäre die Untersuchung derartiger gesellschaftlicher Voraussetzungen auch auf die Tschechoslowakei auszudehnen, wo bezeichnenderweise im Zuge der Nach-Januar-Politik im vergangenen Jahr eine Kennzeichnung der Polizei mit Dienstnummern eingeführt worden ist (Stern 1968 Heft 25 Seite 132). Nach der russischen Militärintervention ist diese Neuerung — wie nicht anders zu erwarten — wieder abgeschafft worden.

VI – Kennzeich­nung und Schlagkraft

Erwägenswert ist weiter das folgende Argument gegen eine derartige Kennzeichnung, das, wenn auch nicht ausgesprochen, der Stellungnahme der Deputation für Inneres zugrunde zu liegen scheint.

Die geforderte Kennzeichnung würde, was gerade in diesen Ausnahmesituationen akut wird, zu einer leichteren Identifizierung der Polizeibeamten führen, was auch die Deputation für Inneres einräumt. Das aber hätte zur Folge, daß Polizeibeamte, die in diesen Situationen Übergriffe begehen, leichter zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Eine vergrößerte Chance aber, für ein momentanes Fehlverhalten ein Strafverfahren oder ein Disziplinarverfahren hinnehmen zu müssen, könnte die Schlagkraft des Polizeivollzugsdienstes und seine Einsatzbereitschaft insgesamt mindern. Dies auch insbesondere deshalb, weil die Wirksamkeit des § 46 BrPolG bezüglich seiner Vereinbarkeit mit den vorgehenden §§ 38, 1 BRRG starken Bedenken unterliegt, wie bereits ausgeführt wurde.

Hält man die Einsatzbereitschaft und die Schlagkraft des Polizeivollzugsdienstes für vorrangig anzustrebende Ziele, dann ist es folgerichtig, Bedingungen zu schaffen beziehungsweise zu erhalten, daß in diesen Situationen erfolgende Übergriffe der Polizei nicht oder jedenfalls so gut wie nicht geahndet werden können. Von diesem Ausgangspunkt ist die Entziehung einiger Polizeibeamter von der Bestrafung gegenüber der Minderung der Schlagkraft und Einsatzbereitschaft des gesamten Polizeivollzugsdienstes das kleinere Übel.

Diesem Argument kann jedoch in einem demokratischen Rechtsstaat keine entscheidende Bedeutung zukommen.

Einer der Grundgedanken des Rechtsstaates ist es, daß die Staatsgewalt nicht grenzenlos ist, sondern daß ihr Grenzen gesetzt werden durch das Recht, und daß sie sich dann in diesen Grenzen zu halten hat. Gesichtspunkte der Staatsraison können auch in Ausnahmefällen keine Überschreitung der einmal gezogenen Grenzen der Staatsgewalt rechtfertigen. Das aber bedeutet, daß Einsatzbereitschaft und Schlagkraft des Polizeivollzugsdienstes keine vorrangig anzustrebenden Ziele sind, sondern nur insoweit Bedeutung haben, als sie im Rahmen des Rechts verwirklicht werden können. Die Grenzen, die das Recht in diesem Zusammenhang der staatlichen Betätigung setzt, sind die bereits in anderem Zusammenhang bezeichneten Vorschriften des Strafgesetzbuches, und dabei insbesondere die der Amtsdelikte, die bei Übergriffen der Polizei in der Regel einschlägig sein werden. Jedenfalls aber bedeutet ein Übergriff eine Pflichtverletzung des Polizeivollzugsbeamten, die für ihn eine Disziplinarbestrafung zur Folge haben kann.

Diese Grenzen dürfen auch in Ausnahmesituationen nicht überschritten werden. Für den Dienstherrn der Polizeivollzugsbeamten ergibt sich damit die Pflicht, Vorsorge dafür zu tragen, daß übergriffe auch in Ausnahmesituationen nicht geschehen. Eine Maßnahme, um dieses Ziel zu erreichen, ist es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß doch vorkommende Übergriffe mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit der gesetzlich angeordneten Ahndung zugeführt werden, wofür die geforderte Kennzeichnung ein geeignetes Mittel ist. Schließlich wird zumindest auch der generalpräventiven Wirkung wegen gestraft.

Dies ergibt sich auch aus dem Gesichtspunkt des demokratischen Staates. Da alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und durch sie legitimiert wird, ist es nicht möglich, um dieser Staatsgewalt willen in bestimmten Situationen die Rechtlosigkeit eben des Volkes, das heißt der Bürger des Staates, in Kauf zu nehmen. Das aber tut man, wenn man nicht alles Mögliche tut, um den Bürger in jeder Situation vor Übergriffen zu schützen beziehungsweise geschehene Übergriffe zu ahnden.

Nur angemerkt werden soll in diesem Zusammenhang die Selbstverständlichkeit, daß dies für alle Bürger gilt, auch für die, die im Rahmen der bezeichneten Ausnahmesituation selbst Rechtsbrüche begehen. Auch Rechtsbrecher haben in vollem Umfang Anspruch darauf, daß sich die Staatsgewalt ihnen gegenüber rechtmäßig verhält und keine Übergriffe begeht.

VII – Negative Erfahrungen mit der Kennzeich­nung?

Zu einem siebten Argument gegen eine Kennzeichnung lassen sich die folgenden Gesichtspunkte der Stellungnahme der Deputation für Inneres zusammenfassen:

Die nach dem Kriege auf Veranlassung der Besatzungsmächte eingeführte Nummernkennzeichnung habe sich nicht bewährt. Die mit ihr gemachten Erfahrungen seien negativ gewesen, denn die Dienstnummern seien in vielen Fällen mißbraucht worden.

So seien die Nummern einschreitender Beamter notiert worden. Diese seien weiter teilweise auf öffentlichen Versammlungen bekanntgegeben worden. Und sie seien für anonyme Anzeigen benutzt worden. Sie hätten sodann zu Namensverwechslungen geführt. Allein die Gefahr von Verwechslungen in der hektischen Atmosphäre öffentlicher Tumulte würde die Polizeibeamten in einseitiger und unzumutbarer Weise belasten. Und sie vergrößerten schließlich durch die durch sie bewirkte leichtere Identifizierbarkeit für die Polizeibeamten die Gefahr falscher Anschuldigungen.

Diesen in der Stellungnahme der Deputation für Inneres angeführten Nachteilen einer Kennzeichnung kommt jedoch kein besonderes Gewicht zu.

Da Dienstnummern — und Entsprechendes gilt für Namensschilder — gerade in erster Linie die Identifizierung von Polizeibeamten erleichtern sollen, muß man jedenfalls dem betroffenen Bürger wohl auch gestatten, sich diese Nummern nicht nur zu merken, sondern auch zu notieren. Es ist nicht recht erkennbar, was die Deputation für Inneres hieran bedenklich findet.

Die teilweise — gemeint ist wohl vereinzelte — Bekanntgabe von Dienstnummern in öffentlichen Versammlungen mag dagegen auf den ersten Blick eher Bedenken begegnen. Erwägt man jedoch, daß unter anderem jeder Beamte, der einen schriftlichen Verwaltungsakt erläßt, jeder Richter, der eine Entscheidung unterschreibt, und jeder Abgeordnete, der — insbesondere bei namentlicher Abstimmung — für oder gegen etwas eintritt, mit seinem Namen für das, was er tut, einzustehen hat und insoweit auch legitimerweise Gegenstand einer öffentlichen Diskussion werden kann, so ist nicht einzusehen, warum gerade Polizeivollzugsbeamte hierin eine Ausnahme machen sollen. Sollte der Polizeibeamte durch die im Zusammenhang mit der Nennung seiner Dienstnummer beziehungsweise seines Namens aufgestellten Behauptungen in seiner Ehre verletzt oder falsch angeschuldigt werden, so steht ihm mit den für jeden Bürger geltenden §§ 164, 185 ff StGB ein ausreichender Schutz zur Verfügung (vergleiche weiter unten zum Gesichtspunkt der falschen Anschuldigung).

Was weiter die anonymen Anzeigen angeht, so sind diese kaum durch die Dienstnummern veranlaßt, sondern allerhöchstens erleichtert worden. Im übrigen ist jedenfalls der Bremer Ortsverband der Humanistischen Union davon überzeugt, daß die Staatsanwaltschaft die nötige Erfahrung im Umgang mit der-artigen Anzeigen besitzt.

Wie sodann die nach dem Kriege zur Kennzeichnung eingeführten Dienstnummern zu Namensverwechslungen geführt haben, ist nur schwer verständlich.

Jedoch ist die Gefahr von Namensverwechslungen — insbesondere in einer hektischen Atmosphäre — bei der gewünschten Kennzeichnung mit Namensschildern nicht auszuschließen, wie überhaupt ein Irrtum bei jeder menschlichen Tätigkeit nicht auszuschließen ist. Dies ist aber im Gegensatz zur Meinung der Deputation für Inneres kein beachtlicher Gesichtspunkt gegen eine Kennzeichnung.

Anderenfalls müßte die Deputation für Inneres zum Beispiel auch für die Abschaffung der polizeilichen Kennzeichen für Kraftfahrzeuge eintreten, bei denen ja ebenfalls die Gefahr besteht, daß sie von Polizeibeamten oder privaten Anzeigenden falsch abgelesen werden.

Der Gefahr von Namensverwechslungen könnte nur dann Bedeutung beikommen, wenn die gewünschte Kennzeichnung auf derartige Verwechslungen angelegt wäre. Die Humanistische Union erstrebt ausdrücklich deutlich lesbare und unterscheidbare Namensschilder.

Was weiter die einseitige und unzumutbare Belastung der Polizeibeamten in der hektischen Atmosphäre öffentlicher Tumulte angeht, so ergibt sich auch aus der Äußerung von Oberstaatsanwalt Wendisch, auf die bereits eingegangen wurde (vergleiche hierzu auch Stern 1968 Heft 25 Seite 132 Fußnote 2 bezüglich ähnlicher Verhältnisse in Frankfurt), zur Genüge, daß durch eine Kennzeichnung allerhöchstens eine einseitige und unzumutbare Bevorzugung der Polizeibeamten abgebaut wird in Richtung auf eine gleichmäßige Verteilung der Gewichte zwischen Polizeibeamten und Bürgern.

Weiter befürchtet die Deputation für Inneres eine Vergrößerung der Gefahr falscher Anschuldigungen für die Polizeibeamten durch ihre im Falle der Kennzeichnung erleichterte Identifizierbarkeit. Auch eine solche Gefahr ist in der Tat nicht auszuschließen. Dies ist jedoch ebenfalls kein beachtlicher Gesichtspunkt gegen eine Kennzeichnung.

Abgesehen davon, daß diese Gefahr, wie die Deputation für Inneres selbst einräumt, bereits jetzt besteht und, wenn man sie wirklich ernst nähme, auch die bestehende Ausweisregelung mit Namenskarten nicht zulassen würde, ist vor allem nicht einzusehen, warum der Schutz der §J 164, 185 ff StGB gegen falsche Anschuldigungen und Beleidigungen, der für jeden Bürger genügt, für Polizeivollzugsbeamte nicht genügen soll.

Dieser Schutz genügt den Polizeivollzugsbeamten allerdings nicht. Jedenfalls hat die Gewerkschaft der Polizei den Umstand, daß nach dem Kriege mehrere an Hand von Dienstnummern ermittelte Beamte auf politischen Versammlungen diffamiert worden sind und einem Beamten, der mit einem Gummiknüppel in der Hand einem gestürzten Mädchen beim Aufstehen half, von einer Zeitung unterstellt worden ist, er habe es geschlagen, als ausreichenden Grund angesehen, gegen eine Kennzeichnung Stellung zu nehmen (Leserbrief im Weser-Kurier vom 3. Februar 1969 Seite 20).

Gerade diese — nicht repräsentativen — Vorgänge zeigen jedoch, so unerfreulich sie sind, daß der Schutz, der für jeden Bürger genügt, auch für Polizeivollzugsbeamte ausreicht. Der diffamierte, falsch angeschuldigte oder beleidigte Beamte mag die ihm zu Gebote stehenden Rechtsbehelfe ergreifen. Entsprechende Möglichkeiten stehen im übrigen auch seinem Dienstherrn zum Schutze des Beamten zur Verfügung (S 196 StGB).

Entsprechendes gilt für die ebenfalls in der Diskussion um die Kennzeichnung verschiedentlich bemühten Anfeindungen aus dem Osten. So ist in Hamburg die dort ebenfalls nach dem Kriege eingeführte Nummernkennzeichnung jedenfalls auch deshalb abgeschafft worden, weil mehrmals Namen von Polizeibeamten in der „SBZ” veröffentlicht worden waren (Stern 1968 Heft 25 Seite 132). Besondere Ausführungen zur Belanglosigkeit dieses Arguments erübrigen sich.

Zwar ist es richtig, daß die Polizeivollzugsbeamten unter anderem Zwang auszuüben haben und dabei auf den Unwillen der Betroffenen stoßen können. Aus dieser Lage mögen sich auch falsche Anschuldigungen gegen sie ergeben. In einer derartigen Gefahrlage befinden sich jedoch nicht nur die Polizeivollzugsbeamten, sondern auch zahlreiche andere Personen, die auf Grund ihrer rechtlichen oder sozialen Stellung Zwang ausüben können, ohne daß sie der Anonymität gegenüber den Zwangsunterworfenen zu ihrem Schutze aus Sicherheitsgründen bedürften. Das gilt zum Beispiel auch für alle Polizeibeamten, die keine Polizeivollzugsbeamten sind. Im übrigen setzt die Humanistische Union auch insoweit volles Vertrauen in die Fähigkeit der Strafverfolgungsbehörden, mit den beschworenen falschen Anschuldigungen fertig zu werden.

Jedenfalls ist es nicht der richtige Weg, wegen möglicher falscher Anschuldigungen alle Anzeigen, und damit auch berechtigte, faktisch auszuschließen. Ein solches Vorgehen bedeutet, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Daß eine Kennzeichnung der Beamten des Vollzugsdienstes durchaus praktikabel ist, zeigen darüberhinaus ausländische Beispiele, wo zum Teil seit langem die Polizeibeamten auf die eine oder andere Weise gekennzeichnet sind.

Unter diesen Umständen kann jedenfalls nicht im Sinne der Deputation für Inneres davon gesprochen werden, daß sich die Kennzeichnung mit Dienstnummern nach dem Kriege nicht bewährt habe.

Sie ist vielmehr durch eine Kennzeichnung mit Namensschildern zu verbessern.

VIII – Forderung nach Kennzeich­nung emotionell?

Schließlich kann als ein letztes Argument der Deputation für Inneres der Gesichtspunkt verstanden werden, die Forderung nach einer Kennzeichnung sei möglicherweise deshalb emotionell beeinflußt, weil sie immer dann erhoben worden sei, wenn bei polizeilichen Großeinsätzen Zusammenstöße zwischen Bürgern und Polizeibeamten vorausgegangen seien.

Mit diesem Hinweis auf eine mögliche emotionelle Beeinflussung der Forderung nach einer Kennzeichnung soll offenbar diese Forderung als nicht wirklich ernst gemeint oder als jedenfalls unvernünftig qualifiziert werden. Gegen diese Art der Argumentation verwahrt sich die Humanistische Union. Richtig ist allerdings der von der Stellungnahme der Deputation für Inneres aufgezeigte Zusammenhang zwischen polizeilichen Großeinsätzen der bezeichneten Art und der nachfolgenden Forderung nach einer Kennzeichnung der Polizeibeamten. Diese Großeinsätze erwiesen nämlich regelmäßig, daß Polizeibeamte, die sich dabei übergriffe zuschulden kommen ließen, nicht ermittelt werden konnten — im Gegensatz zu Bürgern in entsprechender Lage. Die darin liegende Ungerechtigkeit aktualisierte dann die bestehende latente Unzufriedenheit der Bürger bezüglich der Nichtkennzeichnung der Polizeibeamten und führte logischerweise zu der Forderung nach Einführung einer entsprechenden Kennzeichnung.

Auch die Deputation für Inneres betrachtet gerade diese Großeinsätze in entscheidendem Umfang als den Gesichtspunkt, an dem sich die Frage der Kennzeichnung entscheidet. Sie argumentiert nämlich mit solchen Großeinsätzen, wenn sie in ihrer Stellungnahme ausführt, daß dann, wenn die Polizei gegen die Bürger eingesetzt werde, und in der hektischen Atmosphäre öffentlicher Tumulte den Polizeivollzugsbeamten eine Erleichterung der Feststellung ihrer ldentität nicht zuzumuten sei, wobei es in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommt, daß, wie bereits ausgeführt, gerade die gegenteilige Schlußfolgerung die richtige ist.

Auch soll nicht ausgeschlossen werden, daß die Mängel der augenblicklichen Regelung zu einer gefühlsmäßigen Anteilnahme, zu einem emotionalen Angesprochensein, führen können. Darin legt auch nichts Negatives. Es sind nicht nur besonders sensible Naturen, die sich auch emotional betroffen fühlen, wenn sie miterleben, daß ungestraft durch staatliche Organe Unrecht geschehen kann, ohne daß alle möglichen Vorkehrungen dagegen getroffen werden. Jedoch ist ein solches Miterleben nicht mehr als der Anlaß zum Nachdenken über Möglichkeiten zur Beendigung des als unbefriedigend erfahrenen Zustandes. Die als Ergebnis dieser Prüfungen aufgestellten Forderungen sind daher jedoch selbst nicht emotional beeinflußt.

C – Ergebnisse und Antrag

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die bestehende Regelung der Ausweispflicht der Polizeivollzugsbeamten ungenügend ist und daß weitere ergänzende Maßnahmen erforderlich und geboten sind.

Als Maßnahme zur Beendigung des bestehenden Übelstandes schlägt der Bremer Ortsverband der Humanistischen Union einmal bezüglich aller Polizeivollzugsbeamten eine Ausweitung der bereits bestehenden Ausweispflicht über die in dem Erlaß vom 23. März 1967 gezogenen Grenzen hinaus vor und zum anderen bezüglich der uniformierten Polizeivollzugsbeamten die Einführung einer Kennzeichnung mit Namensschildern.

Die Ausweitung der bereits bestehenden Ausweispflicht sollte dabei nach der Vorstellung des Bremer Ortsverbandes der Humanistischen Union in zwei Richtungen hin erfolgen. Einmal sollte jeder Polizeivollzugsbeamte bei der Vornahme von Amtshandlungen dem Betroffenen von sich aus seine Namenskarte überreichen, wie es bereits für die Nürnberger Polizei eingeführt worden ist.

Und zweitens sollten die Voraussetzungen, unter denen diese Verpflichtung entfällt, eingeschränkt werden. Sie sollte nur dann entfallen, wenn — nach pflichtgemäßem Ermessen des Polizeibeamten — die Ausführung der jeweiligen Amtshandlung eine derartige Ausweisung nicht zuläßt. Sobald der Hinderungsgrund entfällt, sollte soweit möglich die Ausweisung nachgeholt werden. Dies wird im wesentlichen der bereits bestehenden Einschränkung entsprechen, daß die Ausweispflicht bei Unmöglichkeit entfällt, so daß mithin die zweite Einschränkung ausscheidet, nach der die Ausweispflicht bereits entfällt, wenn sie dem Polizeibeamten nicht zumutbar ist.

Die uniformierten Polizeivollzugsbeamten sollten darüberhinaus mit Namensschildern gekennzeichnet werden.

Die Beschränkung der Namensschildkennzeichnung auf die uniformierten Polizeivollzugsbeamten rechtfertigt sich dabei aus dem Gesichtspunkt, daß die nicht uniformierten Polizeivollzugsbeamten regelmäßig ihren Dienst nur dann sachgemäß erfüllen können, wenn sie nicht sogleich als Polizeibeamte erkannt werden können.

Auch die Petition der Humanistischen Union, Bundesverband, vom 11. Juli 1968 hatte zwischen uniformierten und nicht uniformierten Polizeivollzugsbeamten unterschieden.

In Abweichung von der Petition vom 11. Juli 1968 wird jedoch keine Ausweisung durch Dienstnummern für die nicht uniformierten Polizeivollzugsbeamten vorgeschlagen. Die damit erstrebte Identifizierbarkeit wird bereits durch die bezeichnete Ausweitung der schon bestehenden Ausweispflicht hinlänglich erreicht.

Der Bremer Ortsverband der Humanistischen Union schlägt daher die Einführung folgender Regelung vor:

I Polizeivollzugsbeamte, die keine Uniform tragen, geben sich bei Beginn einer Amtshandlung als Polizeibeamte zu erkennen.

II Bei der Vornahme von Amtshandlungen gegenüber einzelnen Betroffenen übergeben Polizeivollzugsbeamte unaufgefordert ihre Namenskarte. Auf Verlangen eines Betroffenen weisen sie sich durch ihren Dienstausweis aus.

III Die Verpflichtungen des Absatzes II entfallen, soweit und solange sie die Durchführung der Amtshandlung erschweren oder gefährden.

IV Polizeivollzugsbeamte tragen an ihrer Uniform deutlich sichtbar ein Namensschild.

V Das Nähere regelt eine Verordnung.

Der Bremer Ortsverband der Humanistischen Union bittet die bremische Bürgerschaft aus den dargelegten Gründen um die Einführung der bezeichneten gesetzlichen Regelung.

Er ist der Überzeugung, daß Bremen mit der Verwirklichung der hier vorgeschlagenen Kennzeichnung des Polizeivollzugsdienstes für die Bundesrepublik Deutschland eine Modellstellung erringen wird. Und nach den Worten des amtierenden Präsidenten des Senats muß Bremen gerade jetzt daran gelegen sein, derartige beispielhafte Modelle in möglichst vielen Bereichen zu entwickeln, da auf diese Weise am besten die Berechtigung der in der letzten Zeit in Frage gestellten Eigenstaatlichkeit Bremens dargetan wird. Derartige Modellstellungen fallen einem nicht in den Schoß. Sie müssen mit Umsicht und Mut angestrebt werden. Der Bremer Ortsverband der Humanistischen Union hofft, daß es hieran in Bremen nicht fehlen wird.

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