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Der Kampf um Bilder oder: Warum prügeln Polizisten Journa­lis­tIn­nen?

01. Dezember 1988

Aus: vorgänge 96 (Heft 6/1988), S. 1-6

Es waren nach Ort und Zeit austauschbare Bilder, die in den letzten Monaten dieses Jahres aus Berlin von den Medien der Weltöffentlichkeit präsentiert wurden: Polizisten, die auf Journalisten, auf deren Kameras und Blitzgeräte einschlagen, während die Betroffenen verzweifelt ihre Presseausweise vorzeigen.

•Im Juni protestierte die Bundesregierung »nachdrücklich gegen die gezielte Behinderung« von Journalisten durch Berliner Sicherheitskräfte, die mit Schlägen Film-und Tonaufnahmen verhindern wollten (FR, 21.6.88).
•Im September kritisierten die Chefredakteure der großen Nachrichtenagenturen AP, dpa und Reuter das »abgestimmte, von der Einsatzleitung gebilligte Vorgehen der beteiligten Beamten«, die etwa 25 JournalistInnen für die Dauer einer halben Stunde eingekesselt hatten (Mopo, 30.9.88).
•Am 12. Oktober protestierten die Chefredakteure des ARD-Fernsehens »scharf gegen die zunehmende Behinderung der Fernsehberichterstattung« in Berlin, nachdem Fernsehteams am 10. Oktober von Sicherheitskäften tätlich angegriffen und teilweise mißhandelt worden waren, als sie einen Protestzug von rund 200 Bürgerlnnen aufnehmen wollten (Tsp 13.10.88).

Der Protest blieb nicht unwidersprochen: der Gesamtpersonalrat der Berliner Polizei konterte mit dem Vorwurf »Amoklauf der Medien« (Tsp 7.10.88); Volkskammerpräsident Sindermann sprach von »Übertreibungen« und verwahrte sich gegen solche Einmischungen; der für den Einsatz Berliner Polizisten Verantwortliche sprach von einer »Kampagne, die von falschen Sachverhalten ausgehe«, und bei der »in großem Umfange gelogen worden« sei (FR 8.10.88).

Ob diesseits oder jenseits der Mauer im Berlin des Jahres 1988, ob in Chile oder in El Salvador, ob 1970, 1980 oder in diesem Jahr, gerade journalistische BildberichterstatterInnen wurden und werden so regelmäßig Opfer polizeilicher Prügel, daß die Frage lohnt, ob und gegebenenfalls welche Systematik und politische Logik dahinter steht. Belege und Meldungen über entsprechende Ereignisse lassen sich mehr als hinreichend finden, blättert man die letzten 20 Jahrgänge von journalistischen Fachzeitschriften wie »Die Feder« oder »Der Journalist« auch nur an – seit in der Bundesrepublik mit Beginn der Anti-Notstandskampagnen und der Studentenbewegung das Demonstrationsrecht in breitem Umfang wieder in Anspruch genommen wurde. Doch zurück zu den jüngsten Ereignissen.

Polizei und Presse während der IWF-Tagung

Berlins »couragierter Innensenator« (so die FAZ), Prof. Kewenig, von Hause aus Staats-und Verfassungsrechtler, hatte bereits im Mai dieses Jahres aus Anlaß polizeilicher Prügel für zivil auftretende polizeiliche Führungskräfte auf Nachfrage nebenbei erklärt, daß auch Schläge für Journalisten selbstverständlich als normales »Berufsrisiko« dieser Profession hinzunehmen seien (Mopo, 8.5. 88). Sichtlich von diesen Äußerungen, mehr noch von den realen Blessuren der KollegInnen beeindruckt, lud der Berliner Landesverband der dju wenige Tage vor Beginn der IWF-Tagung den Innensenator zu einer Diskussion ein, um angesichts erwartbarer neuer Konflikte aus noch im Vorfeld deeskalierende Gespräche zu führen. Kewenig schickte seinen Pressesprecher Birkenbeul, der mit der Jovialität des ehemaligen Kollegen den dju-Mitgliedern nun seinerseits klarzumachen suchte, daß es selbstverständliche »Berufsrisiken« gebe – kein gutes Zeichen für die kommenden Tage.
Im wörtlichsten Sinne Schlag auf Schlag erlitten dann Pressevertreter erneut, welcher Art ihr Berufsrisiko ist. Die einzelnen Fälle aufzuzählen lohnt kaum, so typisch gleichförmig sind die Bilder und Ereignisse – als ständen die uniformierten Täter unter einem psychopathologischen Wiederholungszwang. Daß allerdings Kategorien der Psychopathologie nicht ausreichen, die politische Logik der gezielten Prügel für BildberichterstatterInnen zu begreifen, darauf ist noch zurück zukommen.

Was die September-Konflikte von vorangegangenen Ereignissen unterscheidet, sind nicht so sehr die Ereignisse selbst, sondern der politische Kampf um ihre Interpretation. Zwei Faktoren waren hier für ausschlaggebend. Zum ersten wurde unter den Augen von ca. 1600 zur IWF-Tagung angereisten JournalistInnen aus aller Welt vorgeführt, was Pressefreiheit »im freien Teil dieser geteilten Stadt« wert ist. Zum zweiten wurde der interpretative Streit um die »legitime Sicht der Ereignisse« stimuliert durch einen Innensenator, der in autistischer Arroganz und Selbstgerechtigkeit nicht wahrzunehmen fähig war, daß die Rechtfertigung der Prügel für Journalisten unter den Augen von 1600 BerufskollegInnen aus aller Welt anders anzulegen ist, als die Rechtfertigung der politischen Erziehung der Kreuzberger Szene vermittels des Polizeiknüppels, soll sie halbwegs erfolgreich sein.

Erst die rabiate und unkontrollierte Verteidigung der Schläge für JournalistInnen, ergänzt durch massive verbale Angriffe des Senators auf die Presse, rückten diese Randereignisse, die in der Bundesrepublik seit zwei Jahrzehnten zur zynischen beruflichen Folklore von fotographierenden JournalistInnen zählen, ins Zentrum der medialen regionalen und Weltöffentlichkeit. So richtete sich der Protest der Chefredakteure von AP, dpa und Reuters, der der dju und RFFU, der Widerspruch der in London ansässigen Presserechtsorganisation »Art. 19« sowie die Klage des Internationalen Presseinstituts IPI mehr noch gegen Kewenigs Rechtfertigungen denn gegen die Ereignisse selbst. Dem Innensenator ist zu verdanken, daß selbst der Unterausschuß Westeuropa des amerikanischen Repräsentantenhauses sich mit Berlins Pressepolitik während der IWF-Tagung beschäftigte. Der Innensenator tat es seinen Beamten gleich. »Artikel 5 ist außer Kraft gesetzt«, herrschte am 29.September ein Polizist jenen Journalisten an, der ihn auf den entsprechenden Grundgesetz-Artikel aufmerksam zu machen suchte (Volksblatt 29.9. 88). Der Innensenator sprach: »Am Tatort muß dann auch schon mal die Pressefreiheit zurückstehen«, er übernahm die Interpretation eines Untergebenen, daß Blitze der Blitzlichter von Pressefotographen den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen würden, mithin Polizisten per Knüppel in Notwehr darauf reagieren dürften (FR, 29.9.88, Mopo, 1.10.88), leugnete die halbstündige Einkesselung am 25. September – und ging ansonsten in die Offensive mit der Ankündigung, demnächst vor den deutschen Presserat mit der Klage zu treten, daß die Presse die Polizei behindert und »in großem Umfang gelogen« habe (FR, 8.9.88, vgl. auch das Interview mit Kewenig vom 30.9. in der FR und der Stuttgarter Zeitung). Zudem beanspruchte er für sich und für jenen Mann, der derzeit den ‚Berliner Polizeipräsidenten schauspielert, das Monopol der legitimen Definition öffentlicher Konflikte. Er könne, so Berlins Verfassungsenator, auf »juristische Belehrungen« in der Presse verzichten, zumal, wenn diese Belehrungen von Personen kämen, die seines Wissens »nicht ein einziges Semester Jura studiert hätten« (Tsp, 1.10.88).
Nun, die Geisteshaltung des Professors könnte man als persönliches Problem dieses Mannes abtun, wäre sie nicht deshalb so explosiv, weil dieser Mann als Innensenator sie auch materialisieren konnte und weiterhin kann. Er kommandiert die Polizei – und ist gleichzeitig berufen, sie zu kontrollieren. Seine Rechtfertigungen und politischen Verständnisbekundigungen für polizeiliche Übergriffe sprengen die rechtsstaatlichen Fesseln, die polizeiliche Gewalt domestizieren sollen; sie tragen systematisch zur Entgrenzung polizeilicher Gewalt bei – und dies keineswegs nur als theoretische Möglichkeit.

In einer Sondersitzung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses am 3. Oktober war Kewenig gezwungen, zu einer Weisung der Landespolizeidirektion an alle Polizeidienststellen vom September Stellung zu nehmen (die Kräfte aller Abschnitte sollten verstärkt in Eigeninitiative handeln). »Hierbei auftretende Fehler werden in jedem vertretbaren Maß durch Polizeiführer und Politik gedeckt« (Tsp, 4.10.88). Der Innensenator interpretierte: »Gemeint sei lediglich, daß er sich vor jeden Beamten stelle, der in der Hitze des Gefechts falsche Entscheidungen treffe«. Eine vergleichbare Ermunterung im Vorfeld eines absehbaren Einsatzes hatte Berlins Spezial-Schlägertruppe EbLT im April erhalten, wenige Tage vor dem 1. Mai, an dem u.a. drei hochrangige Polizeifüher in Zivil von EbLT-Beamten »polizeigerecht geschlagen« worden waren (so Berlins Polizeipräsident Schertz im Nachhinein, vgl. CILIP 30, S. 23). Am Rande sei vermerkt, daß von 19 Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen diese Spezialtruppe, die bayerische Staatsanwälte nach dem Wackersdorf-Einsatz vom Oktober 1987 einleiteten, im September Jahres 17 eingestellt wurden, da die Täter nicht zu identifizieren gewesen seien (FR, 29.9.88). Auch hier waren unter den Opfern Bildjournalisten.

Die politische Logik des Kampfes um Bilder
Eingangs wurde gesagt, daß Prügel für Bildjournalisten und der systematische Versuch, ihre Arbeit zu behindern, sowohl eine lange Tradition haben als auch nicht in psychopathologischen Kategorien respektive aus Persönlichkeitsmerkmalen der unmittelbaren Täter hinreichend zu begreifen sind. Was macht also den politischen Sinn dieser Praxis aus? Seit 1976 gibt es eine völlig neu konzipierte und ergänzend von einer Schar Polizeiführer verbindlich kommentierte Polizeidienstvorschrift, die PDV 100. Mit ihr sollten vor allem Lehren gezogen werden aus den Polizeieinsätzen gegen die Studentenbewegung, bei denen die Polizei auf dem Hintergrund traditionell militärisch geprägter Dienstvorschriften und entsprechender Einsatzformen in der medialen Öffentlichkeit häufig der Verlierer war. Die Polizeiführung hatte die bittere Erfahrung gemacht, daß Schlachten nicht mehr nur auf der Straße, sondern auch und vor allem in den Bildmedien geführt – und gegebenenfalls verloren wurden, mochte sie auch auf der Straße Sieger geblieben sein.
So sind die ersten 11 Seiten der Kommentierung zu diesem mehr als 1000 Seiten umfassenden Werk, das öffentlich nicht zugänglich ist, auch und gerade dem Verhältnis der Polizei zur Öffentlichkeit und der Art und Weise gewidmet, wie es zu gestalten und zu beeinflussen sei. »Wo die Ergebnisse polizeilicher Tätigkeit nicht an der Wirkung auf den Bürger gemessen werden, kann von polizeilichem Erfolg nicht gesprochen werden«, wird gleich auf der ersten Seite betont.
Der Kampf um das »richtige Bild« in der Öffentlichkeit wurde fortan zum eigenständigen Faktor strategischer Überlegungen und polizeilicher Einsätze. Bereits zuvor, im Jahre 1971, wurden zum ersten Mal »Verhaltensgrundsätze zwischen Polizei und Öffentlichkeit« mit dem Presserat abgeprochen und von der Innenminister-Konferenz verabschiedet, 1982 wurden diese Grundsätze – entgegen der in ihrer Präambel gemachten Feststellung, daß sie mit dem Deutschen Presserat abgestimmt seien, von der IMK einseitig neu gefaßt. Geregelt wurde insbesondere das Fotografieren polizeilicher Einsätze (vgl. kriminalist Nr.3/1982 und NJW Jg. 36, S. 1303 f.).

Kurz, Polizeiführer hatten begriffen, daß gerade im bürgerlichen Verfassungsstaat ein ganz wesentliches Moment jeder politischen Auseinandersetzung der Kampf um die legitime Sicht sozialer Wirklichkeit ist. Ihnen war klar geworden, daß die Fähigkeit, etwas öffentlich zu machen und dabei noch eine spezifische Sicht ins öffentliche Bewußtsein zu tragen, eine ganz außerordentliche Herrschaftsressource ist.
Die Chancen, die einzig »legitime Sicht« sozialer Wirklichkeit durchzusetzen, sind ohne Zweifel asymmetrisch verteilt, widerspiegeln gesellschaftliche Kräfteverhältnisse gleicher-maßen wie sie dazu beitragen, diese zu verstetigen. Daß in unserem Zeitalter die Medien in diesem Kampf um die Köpfe und um das öffentliche Bewußtsein das zentrale Instrument sind, um eine spezifische und interessengeleitete Sicht der Wirklichkeit durch-zusetzen – diese These wird kaum Widerspruch hervorrufen. In der Verfügung über die und im Besitz der Medien ist die ungleiche Chance, über den common sense herrschaftlich zu verfügen, bereits habhaft festgelegt. Die Asymmetrie im Streit um die »Herrschaft« über die medial vermittelte Wirklichkeit wird verstärkt durch die ungleiche Ausrüstung der Kontrahenden mit Glaubwürdigkeit, wenn es gilt, von außen die jeweilige Sicht der Wirklichkeit medial verbreiten zu können. Staatliche Mandatsträger, etwa Berlins Innensenator, verfügen nicht nur über das Monopol legitimer physischer Gewalt, sondern gleichzeitig über das Nahezu-Monopol legitimer Benennungs- und Interpretationsgewalt. Gegenüber den mit Amtsbonus vorgetragenen Einschätzungen und Äußerungen autorisierter Vertreter des Staates haben einzelne Akteure ohne institutionell begründete Autorität kaum Durchsetzungschancen.

Exemplarisch zeigt sich dies gerade am Verhältnis von Polizei, Politik und sozialem Protest. Hier lag wohl auch Kewenigs autistischer Fehler. Gewohnt, daß die Prügel seiner Polizei gegenüber sozialen Minderheiten wenig öffentlichen, d.h. medialen Ärger macht, weil seine Definitionen der Wirklichkeit sich allemal als durchsetzungsfähiger erwiesen haben, als die der Protestgruppen, ging er mit den Schlägen für JournalistInnen interpretativ so um wie mit den Prügeln für die Kreuzberger Szene. So ganz unrecht hatte er dabei nicht einmal, denn die Prügel für Nicht-Journalisten während der IWF-Tage spielte in der öffentlichen Diskussion nur eine geringe Rolle. Zum ersten ist die Glaubwürdigkeit dieser Opfer, gemessen an der von JournalistInnen, gering. Zum zweiten verfügen sie nicht, wie in bestimmten Grenzen JournalistInnen, über den medialen Apparat. Und so sehr in der Regelberichterstattung der Medien die Polizei bei jedem Einsatz von der Vorvermutung der Legitimität ihres Handelns erfolgreich zehren kann, obwohl sie prinzipiell doch nur für das Bereithalten staatlicher Gewaltmittel gilt, nicht jedoch für jeden Einzelfall ihres Einsatzes, der jeweils neu auf seine Legalität und Legitimität zu befragen ist. Bei den Prügeln für JournalistInnen griff diese Vorvermutung nicht, da die Transporteure der staatlichen Definition der Ereignisse selbst Opfer wurden.

Daß vor allem und gerade BildjournalistInnen behindert und geschlagen wurden, hat seine eigene Logik. Im Streit um die richtige Interpratation der Wirklichkeit erweisen sich Bilder, Fotos wie Ablaufsequenzen bei Filmen, als besonders sperrig. Zeugenaussagen und Betroffenenschilderungen lassen sich durch Gegenzeugen mit größerer Glaubwürdigkeit im Regelfall recht schnell erledigen – das Ende unzähliger Verfahren gegen Polizeibeamte. Fotos, gar Ablaufsequenzen, haben demgegenüber ihre eigene Suggestion und Überzeugungs- wie Beweiskraft. Die Gefahr, durch einen solchen »Sachbeweis«, um einen polizeilichen Begriff zu nehmen, illegaler Gewalt überführt zu werden, wird verständlicherweise besonders gefürchtet. Und dies nicht nur von den unmittelbar beteiligten Polizisten, sondern gleichermaßen von ihrer Führung, denn die Gefahr eines solchen Sachbeweises kann vorab die »Einsatzfreude« der Beamten dämmen. Sie aber gerade anzuspornen, war Sinn und Zweck der bereits erwähnten Mitteilung der Landespolizeidirektion, daß auch Fehler gedeckt würden. Diesen kontrollierend-dämmenden Effekt von Bildern hat vor Jahren in anderem Zusammenhang der Polizeioberinspektor Kistler benannt, für den Einsatz fahrbarer Kameras bei der Polizei argumentierend: »Sobald mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, beobachtet, fotografiert oder gar abgefilmt zu werden, schwindet der Mut und der Drang, sich stark hervorzutun, meist schnell« (Die Polizei, 1965, S. 168). Der Versuch, sich dieser Gefahr zu entziehen, führt auf allen Seiten bei Demonstrationen dazu, dieselben Schutzmechanismen zu benutzen, d.h. sich unidentifizierbar zu machen. Polizisten sind allerdings von Berufs wegen qua Ausstattung hier im Vorteil. Alle Forderungen, als Gegengewicht zu ihrer beruflichen Vermummung sie über Namensschilder oder zumindest äußerlich zu tragende Dienstnummern kenntlich zu machen, sind bisher erfolgreich abgewehrt worden.
Das zweite Mittel ist der Versuch, Film- und Fernsehaufnahmen zu verhindern, beziehungsweise die Aufnahmen im Nachhinein zu vernichten. Die entsprechende Praxis von Polizisten ist von der herrschenden Rechtsprechung zwar in der Begründung äußerst fragwürdig, aber gleichwohl gedeckt. Auch die von der IMK 1982 einseitig verabschiedeten »Verhaltensgrundsätze zwischen Presse und Polizei« weisen genüßlich auf diese Möglichkeit hin.
Fragwürdig ist die rechtliche Begründung deshalb, weil Polizisten das Recht, unmittelbar Bildaufnahmen zu verhindern und Bilder zu vernichten, ausschließlich unter Heranziehung privatrechtlicher Normen (dem Recht am eigenen Bild nach dem Kunsturheber-recht und unter Hinweis auf die privatrechtlichen Notwehr/Nothilfe-Regeln) zugestanden wird. Nur,
bei Demonstrationseinsätzen tritt der eingesetzte Polizist gerade nicht als Privatperson auf, sondern als öffentlicher Amtsträger, muß sich mithin – dem demokratischen Modell nach – auch der öffentlichen Kontrolle unterwerfen. Hierzu berufen sind aber gerade Journalisten, nimmt man das Grundgesetz und die Länderpressegesetze ernst (vgl. ausführlicher Schomburg in AfP, Nr. 2/1984).

Welche zentrale Bedeutung dem Kampf um Bilder in der öffentlichen Auseinandersetzung inzwischen beigemessen wird, läßt sich abschließend an zwei Beispielen verdeutlichen, die bereits einige Jahre zurückliegen. Amerikanische Untersuchungen zum wachsenden Widerstand gegen die Vietnam-Krieg in den USA haben herausgearbeitet, daß die Kriegsmüdigkeit und zunehmende Ablehnung dieses Mordens sehr stark beeinflußt war durch die täglichen Fernsehbilder, die diesen grauenhaften Krieg in die amerikanischen Wohnstuben trugen. Für Günther Anders war diese Erfahrung Anlaß, seine skeptischen Thesen zur Funktion modernder Medien punktuell zu revidieren (Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2, S. 290 ff). Das britische Kriegsministerium vollzog vor diesem Hintergrund keine theoretische, sondern eine äußerst praktische Revision in der Pressepolitik. Beim Falkland-Abenteuer wurde gerade gegenüber den Bildmedien eine äußerst restriktive Politik betrieben, um eine ähnliche Wirkung grauenhafter Kriegsbilder in englischen Wohnstuben zu verhindern.
Mag es für den einzelnen Polizisten die Angst sein, persönlich bei einer Straftat oder beim »Ausrasten« per fotografischem Sachbeweis überführt zu werden, die zu Angriffen auf Bildjournalisten führt. Soweit es je-doch die Gerichtsbarkeit und die politische Führung der Polizei betrifft, geht es darum, die Gefahr zu vermeiden, daß Bilder die Illegalität oder zumindest Illegitimität staatlicher Gewalt in konkreten und politisch eh umstrittenen Situationen ins öffentliche Bewußtsein tragen könnten und man damit die »Herrschaft über die legitime Sicht der Wirklichkeit« verlieren könnte.
Daher die politisch gedeckten Prügel für BildjournalistInnen.

Abkürzungen:
FR: Frankfurter Rundschau; Tsp: Tagesspiegel Berlin; SZ: Süddeutsche Zeitung; Mopo: Morgen-post Berlin; AfP: Archiv für Presserecht; NJW.• Neue juristische Wochenschrift

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