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Mehr direkte Demokratie mit blinden Flecken: Berliner Abgeord­ne­ten­haus reformiert Volks­ge­setz­ge­bung

18. Mai 2006

Die vorletzte Hürde auf dem Weg zu mehr direkter Demokratie in Berlin ist genommen. Mit den Stimmen aller Fraktionen verabschiedet das Abgeordnetenhaus am heutigen Donnerstag ein Paket von Verfassungsänderungen, das neben mehr Rechten für den Regierenden Bürgermeister und die Abgeordneten Vereinfachungen bei Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden beinhaltet. Für die Bürger wird es damit leichter, sich bei politischen Sachfragen direkt in die Politik einzumischen. In Kraft treten kann die Reform der Volksgesetzgebung aber erst, wenn ihr die Berliner selbst zugestimmt haben. Das Bündnis für Direkte Demokratie, das die Verhandlungen der Parteien begleitet hatte, begrüßte die Erleichterungen der Volksgesetzgebung grundsätzlich und kündigte an, trotz einer Reihe von Vorbehalten für ein Ja bei der Volksabstimmung am 17. September zu werben.

„Die Reform geht weniger weit, als gut für Berlin gewesen wäre, aber weiter, als wir noch vor wenigen Monaten realistisch erwarten konnten“, kommentierte Bündnissprecher Christoph Bruch. Ein Grundübel der bisherigen Regelung bleibe erhalten: „Die Bürger haben auch in Zukunft praktisch keine Chance, Änderungen der Landesverfassung gegen das Abgeordnetenhaus durchzusetzen. Gleichzeitig kann das Parlament die Verfassung auch weiterhin ohne Zustimmung des Souveräns ändern.“ Weil es auf dem Stimmzettel die Option „Ja, aber“ nicht gebe, werde man vor dem 17. September für ein „Ja“ werben. Denn zumindest bei einfachen Gesetzen sei die Volksgesetzgebung aber nicht länger nur ein Papiertiger, sondern ein echtes Partizipationsinstrument.

Zufrieden ist das Bündnis mit der Vereinfachung der Volksinitiative. Nicht mehr 90.000 sondern nur noch 20.000 Unterschriften sind notwendig, damit sich das Abgeordnetenhaus mit einem Anliegen befassen muss. Unterschreiben können dabei auch 16- und 17-Jährige. Tabu-Themen gibt es nicht mehr.

Bei Volksbegehren und Volksentscheiden hätte sich das Bündnis „mutigere Schritte“ gewünscht. Um ein Volksbegehren zu beantragen, reichen in Zukunft 20.000 Unterschriften aus, bisher waren es 25.000. Beim Begehren selbst wird das Quorum von 10 auf 7 Prozent der Wahlberechtigten gesenkt und die Eintragungsfrist von 2 auf 4 Monate verlängert. Kommt es zum Volksentscheid, ist die Zustimmung von mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten und eine Mehrheit der Abstimmenden erforderlich, damit ein Gesetz angenommen ist.

Ausgeweitet wird auch das Themenspektrum der Volksgesetzgebung. „Ob es einen substanziellen Unterschied macht, dass nicht mehr der gesamte Landeshaushalt sondern nur noch das Haushaltsgesetz von der Volksgesetzgebung ausgenommen ist, muss die Praxis zeigen“, glaubt Bruch. Dass das Verbot von Volksbegehren und Volksentscheiden zur Landesverfassung gestrichen wird, sei nur Symbolpolitik. Das Quorum von rund einer halben Million Unterschriften (20 Prozent der Wahlberechtigten) beim Volksbegehren und die Hürden beim Volksentscheid – Zustimmung von mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten bei gleichzeitiger Zweidrittelmehrheit – hält Bruch für unüberwindlich. „Eigentlich sollte die Verfassung ohne Zustimmung des Souveräns überhaupt nicht geändert werden können.“ Den Vorschlag, alle Verfassungsänderungen einem obligatorischen Referendum zu unterstellen, hätten die Parteien aber nicht aufgegriffen.

Das Bündnis für Direkte Demokratie ist ein Zusammenschluss von Initiativen, Bürgerinnen und Bürgern, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Mitbestimmungsmöglichkeiten in Berlin zu verbessern. Ihm gehören an: Mehr Demokratie, attac Berlin, Initiative Berliner Bankenskandal, Bürgerinitiative Stuttgarter Platz, BUND, Bund der Steuerzahler, Charlottenburger Bürgerbündnis, Donnerstagskreis der Vereinigten Linken in der SPD Berlin, Grüne Liga Berlin e.V., Humanistische Union, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Omnibus für Direkte Demokratie gGmbH und Einzelpersonen.

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