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Die Humanis­ti­sche Union sagt: Nein zu dieser Volks­be­fra­gung und Nein zu den bürger­recht­li­chen Kosten einer Olympiade

30. September 2015

Als Ende 2014/Anfang 2015 über eine mögliche Bewerbung Berlins als Ausrichterstadt einer Olympiade diskutiert wurde, positionierte sich auch der Landesverband Berlin-Brandenburg zu der geplanten Volksbefragung und den bürgerrechtlichen Kosten von Olympischen Spielen. Im März 2015 entschied der DOSB (Deutsche Olympische Sportbund) sich gegen Berlin und für Hamburg als deutsche Bewerberstadt.

Hier der Beitrag des HU-Landesverbandes vom Februar 2015 zu der Debatte:

Die Humanistische Union, Landesverband Berlin-Brandenburg, spricht sich gegen die vom Senat geplante unverbindliche Volksbefragung aus und warnt vor den bürgerrechtlichen Kosten einer Olympiade

Bürgerbefragung als Scheinakt der Beteiligung

Die geplante Volksbefragung des Senats für eine Bewerbung Berlins als Ausrichter der Olympischen Spiele 2024 oder 2028 ist ein Scheinakt der Bürgerbeteiligung, der höchstens den Wert einer methodisch unsauberen Meinungsumfrage hat. Für die Humanistische Union ist nur der Verzicht auf ein Mindestquorum positiv, da dieses derzeit bei Volksabstimmungen zu hoch sind.

Denn nach dem Vorschlag des Senats vom 20. Januar 2015, der so vom Parlament verabschiedet werden soll, dürfen sich nur volljährige Deutsche beteiligen.

Mindestens sollten, wie bei den BVV-Wahlen, auch junge Erwachsene ab sechzehn Jahren und EU-Ausländer beteiligt werden. Auch die Juristen der Innenverwaltung wären mit diesem breiteren Kreis von Abstimmungsberechtigten einverstanden gewesen. Aus Sicht der HU hätte man bei der unverbindlichen Befragung zu einer Olympia-Beteiligung alle in Berlin lebenden Menschen befragen können.

In der Abstimmung soll die Frage gestellt werden: „Soll sich Berlin um die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 und gegebenenfalls 2028 bewerben?“. Die Regierung hätte gerne einen Blankoscheck, der auf jegliche Bedingungen, beispielsweise einen Kostenrahmen, verzichtet. Sie wagt es noch nicht einmal, die von ihr bei der Bewerbung formulierten, eher deklamatorischen Bedingungen hier zu wiederholen.

Das Abstimmungsergebnis dieser Bürgerbeteiligungssimulation ist, im Gegensatz zu einem echten Volksentscheid, rechtlich nicht bindend. Der Senat versichert nur, dass er sich an das Ergebnis halten werde. Nach den Erfahrungen mit den bisherigen Volksentscheiden und der bisherigen Beteiligung der Bevölkerung durch den Senat, ist hier Misstrauen angebracht.

Die Wahl soll erst wenige Tage vor der deutschen Anmeldung des DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) beim IOC (Internationales Olympische Komitee), am 13. September, stattfinden.

Diese Lex Olympia des Senats hat mit einer ergebnisoffenen Beteiligung der Bürger, geschweige denn der in Berlin lebenden Menschen, nichts zu tun.

Bürgerrechte, die auf dem Altar des Sports geopfert werden

Im Dezember 2014 beschloss das IOC eine aus vierzig Punkten bestehende Reformagenda, die künftige Olympische Spiele nachhaltiger, kostengünstiger, transparenter und demokratischer gestalten soll. So begrüßenswert die beschlossenen Änderungen auch sind, – vor allem wenn sie umgesetzt werden -, wird es bei den Schutzmaßnahmen und der Kontrolle der Sportler, der Besucher und der Anwohner keine Veränderungen zu den vorherigen Spielen geben. Auch weil das IOC nach den in jeder Beziehung heftig umstrittenen Spielen in Sotschi meinte, das seien Spiele gewesen, wie sie sie sich vorstellten und sie auch in Berlin von folgenden Sicherheitsrisiken ausgehen werden: Terrorismus und politische Gewalt, Schwerverbrechen und Organisierte Kriminalität, inländischer Extremismus, öffentliche Unruhen, schwere Unfälle und Naturkatastrophen.

Berlin wird, wie London, für mehrere Wochen zu einer Hochsicherheitszone werden und Ideen, die in London noch nicht umsetzbare Fantasien von Sicherheitspolitikern und -firmen waren, werden in einem Jahrzehnt umgesetzt werden können. Denn in ihrem Denken ist jeder Besucher ein Sicherheitsrisiko und ein potentieller Attentäter.

Die freie Meinungsäußerung wird eingeschränkt

In London gab es vor den Stadien umfangreiche Kontrollen. Verboten waren auch Kleider, die sichtbar die Namen von Firmen zeigten, die nicht die Olympiade sponsorten. Die Besucher durften vor allem bei der Eröffnung nur Kleider von dem Olympia-Sponsor Adidas oder Sportkleider ohne ein Firmenlogo tragen. Das gleiche galt für von ihnen mitgebrachtes Essen.

Die freie Meinungsäußerung, wenn sie das Bild der Olympiade trüben könnte, war auch verboten. Das war schon im Vertrag zwischen dem IOC und dem Vereinigten Königreich so festgelegt und die Polizei setzte ihn durch. Auch gegen Künstler, die dagegen protestierten.

Am 9. Februar 2015 gab es in Berlin schon die ersten Abmahnungen gegen Künstler. Das Blog Metronaut sollte eine Satire auf die Olympia-Kampagne des Senats unverzüglich von ihrer Homepage entfernen.

Karten für die Spiele konnten nur im Internet mit einer Kreditkarte gekauft werden. In London war kurz vor den Spielen auch ein etwas freierer Verkauf möglich, aber geplant war, dass jede Karte nur einem Inhaber individuell zugeordnet werden kann.

Für Journalisten waren auch in London in den Pressezentren verschiedene Internetseiten blockiert und es konnte dort auch nur mit der Kreditkarte eines Sponsors bargeldlos bezahlt werden.

Selbstverständlich gab es für jeden Journalisten vorher eine Sicherheitsüberprüfung. In zehn Jahren ist es nicht unwahrscheinlich, dass jeder Kartenkäufer eine ähnliche Überprüfung erhält. Das geht nur, wenn staatliche Stellen mit privaten Firmen zusammenarbeiten und Daten austauschen. Dieser Datenaustausch zwischen privaten Veranstaltern und der Polizei ist heute schon für Fußballfans normal und wird von der HU kritisch gesehen.

Die Versammlungsfreiheit gilt nicht mehr

Viele der repressiven Maßnahmen, die es in London im Umfeld der Olympischen Spiele gab, sind auch Fußballfans, wenn sie am Wochenende zu einem Spiel fahren, und Globalisierungskritikern, wenn sie gegen einen Wirtschaftsgipfel protestieren wollen, bekannt. Diese Maßnahmen werden regelmäßig von der Humanistischen Union und Bürgerrechtlern kritisiert und von Gerichten oft für illegal befunden. Bei einer Olympiade gilt der Ausnahmezustand, wie hier in Berlin zuletzt 2013 bei dem Besuch des Präsidenten der USA, nicht für wenige Tage, sondern für mehrere Wochen. Vor allem vor und während der Spiele. Aber auch nach den Spielen gab es in London Freiheitseinschränkungen.

So gab es in London zahlreiche „dispersal zones“, in denen die Polizei umfangreichere Befugnisse hat und auch spontane Versammlungen verboten sind. Die Polizei kann schon gegen Versammlungen von zwei Personen, wenn sie deren Verhalten für verdächtig hält, mit mindestens einem 24-stündigem Platzverweis vorgehen. Sowieso arbeitete die Polizei in dieser Zeit mit einem Null-Toleranz-Ansatz. In Leytonstone, um nur ein Beispiel zu nennen, bestand diese Zone, die fast den gesamten Bezirk umfasste, vom 26. Juni bis zum 20. November 2012. Zur Erinnerung: die Olympischen Spiele waren vom 25. Juli bis zum 12. August.

Um die Stadien wird es große Sicherheitszonen geben, die deutlich größer sind, als bei anderen Großveranstaltungen.

Das Demonstrationsrecht ist in diesen Wochen de facto außer Kraft gesetzt. Wenn man die Demonstrationen, die in London in räumlicher Nähe zu Spielstätten stattfinden durften, auf Berlin überträgt, würde eine Demonstration gegen Spiele im Olympiastadion am Ernst-Reuter-Platz sein. Da kann man nur hoffen, dass es nicht zeitgleich vor dem Bundestag ein Beachvolleyballspiel gibt.

Aufenthaltsverbote und die Möglichkeit zum von der Humanistischen Union abgelehnten Unterbindungsgewahrsam, der von der Polizei verhängt werden kann, bevor die betroffene Person etwas Verbotenes getan hat, gab es in London und wird es auch in Berlin geben. Die Frage ist hier nicht ob, sondern nur, wie sehr die in Berlin schon bestehenden Regeln ausgeweitet werden.

Nach Demonstrationen kann es in London zu Verhaftungswellen kommen. So wurden nach der Critical-Mass-Fahrradtour vom 27. Juli 2012, die sich während der Spiele zu sehr Olympia-Sportstätten und -Wegen näherte, 182 Fahrradfahrer verhaftet. Auf einer Critical-Mass-Fahrradtour fahren Radler gemeinsam, ohne eine feste Route, durch die Stadt und protestieren friedlich für bessere Verkehrsbedingungen. Das war die größte Verhaftungswelle im Vereinigten Königreich in den vergangenen Jahren gegen Protestierer. Angeklagt wurden unmittelbar danach nur drei der Inhaftierten.

Die Fahrstrecken zwischen den Sportstätten und den Sportlerhotels werden während der gesamten Spiele gesperrt sein. Damit wollen die Veranstalter garantieren, dass die Spieler zügig und ohne Probleme zu den Spielstätten kommen. Außerdem entfällt dann eine Sicherheitskontrolle vor dem Stadion. Das gleiche gilt für bestimmte Plätze und Wege. In London gehörten 109 Straßenmeilen zum Olympic Route Network. 30 Meilen waren exklusiv dem Olympia-Verkehr vorbehalten.

Ampelschaltungen wurden an die Bedürfnisse der Veranstalter angepasst. Besuchern wurde empfohlen, während der Spiele London nicht mit dem Auto zu besuchen.

Polizei, Militär und Sicherheitsdienste prägen das Stadtbild

In London waren, zusätzlich zur normalen Polizei, 10.000 private Sicherheitsleute,12.000 Polizisten und 17.000 Soldaten vor Ort. Ursprünglich sollten es 13.500 Soldaten sein, aber die Sicherheitsfirma konnte nicht genug Personal schulen. Es gab auf mehreren Wohnhäusern Boden-Luft-Raketen zur Abwehr von Gefahren aus der Luft, die im Notfall eingesetzt werden sollten. Das gleiche galt für akustische Waffen. Sie sondern Schallwellen ab, die Betroffene aus bestimmten Gebieten vertreiben sollen und die über große Entfernungen auch gesundheitliche Schäden, wie Hörschäden, verursachen können. Es war die größte und anspruchsvollste Sicherheitsoperation im Vereinigten Königreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

In Deutschland ist der Einsatz des Militärs im Inneren verboten. Aber schon heute kann die Regierung oder die Polizei, wenn polizeiliche Mittel nicht ausreichend erscheinen, das Militär anfordern.

Außerdem verlangt das IOC von den ausrichtenden Ländern die Bereitschaft, Gesetze zu ändern.

Nur bei der Videoüberwachung musste London nicht mehr aufrüsten und sie ist schon heute integraler Teil jedes Sicherheitskonzepts. Trotzdem wurden die CCTV-Systeme mit Gesichts- und Nummernerkennungssystemen aufgerüstet. Die Polizei erneuerte außerdem ihre Ausrüstung und Infrastruktur.

Im Gegensatz zu den temporären Sportanlagen wird die Sicherheitsinfrastruktur nach den Spielen nicht abgebaut werden. Diese Früchte der Leistungsschau der Sicherheitsfirmen zur Kontrolle der Bevölkerung, die in London ungefähr 1,3 Milliarden Euro kostete, werden uns erhalten bleiben.

Aufgrund der hohen bürgerrechtlichen Kosten lehnt die Humanistische Union Olympische Spiele ab. Berlin darf nicht zu einer grundrechtsfreien Hochsicherheitszone werden.

Humanistische Union – Landesverband Berlin-Brandenburg

Berlin, Februar 2015

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